«Schrauben» sollten weder locker noch streng sitzen, sondern angemessen ausgestaltet sein
- Dr. Dr. Üsé Kuba Hausmann
- 12. März 2024
- 3 Min. Lesezeit

Ist es Dir, liebe Leserin, lieber Leser, auch aufgefallen? Kommentare in den Medien über angedachte oder beschlossene Gesetzesänderungen kennen typischerweise exakt zwei Ausprägungen: Entweder werden bestehende Normen verschärft oder gelockert. Basta. Diese dichotome Berichterstattung ist omnipräsent, aber letztlich inhaltsleer. Ob Schrauben angezogen oder gelockert werden, beinhaltet per se weder in die eine noch die andere Richtung ein Qualitätssiegel.
Zwei aktuelle Beispiele: Letzte Woche stand in der «NZZ», dass «die bürgerliche Mehrheit das Zweitwohnungsgesetz lockern und so die Wohnungsnot in den lindern möchte». Gestern titelte dasselbe Blatt «Seit Jahren ist der Tausender Wohnungen in Zürich blockiert – nun lockert der Nationalrat den Lärmschutz.» Wird nun alles locker-flockig? Zur Vermeidung von allfälligen Missverständnissen: Nicht die «NZZ» soll in der Kritik stehen. Meine Lieblingszeitung steht hier lediglich als Repräsentantin für die hiesige Medienlandschaft. Wie wäre es stattdessen mit «zukunftsweisender oder mustergültiger Gesetzesrevision»? Das wäre eine Schlagzeile!
Gesetze dienen einem Zweck und haben ein Ziel. Deren Erfüllung unterliegt (auch) dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 5. Abs. 2 BV). Ein Blick in die juristische Fachliteratur reicht, um Klarheit über dieses in der Bundesverfassung verankerte Prinzip zu erhalten: Es fordert, «dass die Verwaltungsmassnahmen zur Verwirklichung des im öffentlichen Interesse liegenden Ziels geeignet und notwendig sind. Ausserdem muss der angestrebte Zweck in einem vernünftigen Verhältnis stehen, die den Privaten auferlegt werden.» (*) Diese Formulierung kann mit zahlreichen Urteilen des Bundesgerichts untermauert werden. Logisch, dass dabei immer Güterabwägungen vorzunehmen sind. Auch Ermessenspielräume sind hinreichend zu würdigen. Aber Ziel- und Interessenkonflikte existieren immer. Nichts ist gratis. Alles hat einen Preis. Doch welches ist der «richtige», der angemessene Preis?
Die Moral der Geschichte
Die wenigsten Gesetzesnormen halten für die Ewigkeit. Das wäre reines Wunschdenken. Vielmehr variieren ihre Haltbarkeitsdaten in frappantem Ausmass. Gesetzesnovellen oder -revisionen sind folglich nur eine Frage der Zeit. Die entscheidende Frage, die sich damit verbindet, ist daher folgende: Haben die Organe der Legislative, der Exekutive und der Judikative ein hinreichendes Gespür dafür, ob bestehende Normen je oder immer noch und weiterhin der Zweckerreichung – unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit – dienen oder nicht. Oder anders formuliert: In welchem Mass und mit welcher Geschwindigkeit sind sie, die involvierten Akteure, lernfähig?
Diese Lernfähigkeit würde sich erstens darin zeigen, dass anachronistische Normen so früh als möglich aus dem Verkehr gezogen würden. Zweitens, dass dysfunktionale Bestimmungen durch bessere, oder weniger schlechte Normen ersetzt würden. Die Debatte um die mutmassliche oder sogenannte Wohnungsnot einerseits oder diejenige um eine zukunftsgerichtete Ausrichtung der Raumplanung anderseits führen uns mehr oder weniger schmerzlich vor Augen, dass unser politisches System diesbezüglich noch massgebliches Verbesserungspotenzial aufweisen dürfte.
Das verbreitete Lamentieren über den herrschenden Normen-Dschungel oder -Wirrwarr – insbesondere in Gesetzen (inklusive «Softlaw») gehört querbett zum guten Ton. Dabei wird die wirkliche Misere verkannt. Nicht die schiere Quantität, sondern die mangelnde Qualität und mangelhafte Abstimmung in Schnittstellen bereitet in der Realität Bauchschmerzen. Wenn die korrekte Anwendung von Gesetzen zu einer leeren Schnittmenge führt, läuft etwas grundsätzlich falsch.
Die Botschaft ist banal: Verabschiedet in Zukunft weniger «Bananengesetze» und arbeitet im Gesetzgebungsprozess (noch) sorgfältiger. Nachgelagertes Korrigieren ist immer mit zusätzlichem Aufwand verbunden. Fazit: Primär geht es also darum, zweckmässige Stellschrauben nach den Regeln der Kunst ins Gesetz zu schreiben. Deren Feinregulierung – zum Beispiel auf Verordnungsstufe – sollte die integrale Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit – eigentlich nie aufwerfen. Besser geht es nicht. Punkt.
Ein ökonomischer Gedanken zum Schluss: Der italienische Ökonom und Soziologe Vilfredo Pareto (1848-1923) hatte an der Universität Lausanne einen Lehrstuhl für Wirtschaftswissenschaften inne. Er gilt als Mitbegründer der Denkschule der Wohlfahrtsökonomie (**). In diesem Kontext formulierte er das Pareto-Optimum. Der nach ihm benannte Zustand ist dann erreicht, wenn es nicht mehr möglich ist, eine Konstellation zu verbessern, ohne eine andere zu verschlechtern. Diese ökonomische Maxime hat – ergänzend zu andern – auch in der Eidgenossenschaft Potenzial.
Quellen:
(*) Häfelin Ulrich, Müller Georg, Uhlmann Felix: Allgemeines Verwaltungsrecht, Zürich 2010, S. 133.
(**) Kruse Alfred: Geschichte der volkswirtschaftlichen Theorien, Berlin 1991, S. 223f.
Bildnachweis: dr. dr. üsé kuba Hausmann, 2019.