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Scheitern mit Immobilien: Die Geschichte der Immo-Hyp – ein Absturz mit Ansage (eine Reportage in drei Teilen, 1/3) – die ersten Gehversuche

Prolog


Es war am Freitag, dem 21. Oktober 2011. Damals, vor ziemlich genau 13 Jahren berichtete die «NZZ» erstmals von René Benko, dem damaligen CEO der Signa Holding. Es ging um die Projektentwicklung eines Luxus-Resort am Gardasee. 10 Jahre später, im November 2021, berichtet die «NZZ», dass sich in Österreich ein «spektakulärer» Prozess wegen Bestechung anbahnt. Die Staatsanwaltschaft hatte dabei auch René Benko explizit im Visier. Es war der Beginn des Endes. Seither ist sein Name bis anfangs November 2024 genau 178 Mal in dieser Zeitung erschienen. Sein Unternehmen hat Schlagzeilen am Laufmeter produziert. Und diese Geschichte ist noch nicht zu Ende.

 

Anfangs 2022 startete ich – gänzlich unabhängig und losgelöst vom Firmenkomplex der Signa Holding eine Recherche zur Immo-Hyp. Diese Unternehmen hatte es sich in 1940er-Jahre auf die Fahne geschrieben, zum führenden Immobilienakteur in der Schweiz zu werden. Im Oktober 1941 warb die Immo-Hyp, so lautete die Firma der Gesellschaft, vollmundig in der «NZZ» mit folgender Ansage: «Unsere Gesellschaft soll so weit gebracht werden, dass jedermann in der Schweiz, der einen Liegenschaftenkauf oder Verkauf oder eine Hypothekenangelegenheit tätigen will, die Dienste unserer Gesellschaft in Anspruch nimmt.» Der führende Kopf hinter diesem Anlagevehikel war Edwin Gloor. Doch das Unternehmen fallierte. Tausende von Kleinanlegerinnen und Kleinanleger verloren ihre Ersparnisse. Dies obwohl die Wirtschaftsredaktion der «NZZ» schon früh – während des Zweitens Weltkriegs – und immer wieder mit kritischen Beiträgen auf das mutmasslich zweifelhafte Geschäftsgebaren des Unternehmens aufmerksam machte. Als der Zürcher Bankier Dr. Hans Vontobel (1916–2016) im Jahre 1950 ebenfalls in der «NZZ» das Firmenkonglomerat der Immo-Hyp nach Strich und Faden auseinandernahm, war es bereits fünf vor zwölf. Das Unheil nahm seinen Lauf. Nachfolgend findet sich die tragische Geschichte um ein Zürcher Immobilien-Anlagevehikel in drei Teilen. Es gab nur Verlierer und das waren nicht wenige. Die Aufräumarbeiten des Desasters dauerte mehr als 10 Jahre. Die

 

Biografisches zu Edwin Gloor


Ende Dezember 1950 herrschte Chaos. Der Verursacher des Scherbenhaufens war Edwin Gloor. Seine Geschichte geht so: Am Mittwoch, 30. Januar 1895 erblickte er im Kanton Aargau das Licht der Welt. Mit den Eltern Maria und Gottfried Gloor sowie sieben Geschwistern wuchs er in Schöftland auf. Die im Suhrental gelegene Landgemeinde zählte damals rund 1'300 Seelen. Ausser, dass er dort die zweite und dritte Klasse der Primärschule besucht hat, ist nichts über den Verlauf seiner Kindheit und Jugendzeit bekannt. Mit seinem fünf Jahre älterer Bruder Otto hatte er im Erwachsenenleben gemein, dass sie beide in der Stadt Zürich lebten und dort ihre Spuren hinterlassen sollten, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.

 

Erst im Mai 1917 fand sich wieder Aktenkundiges über ihn. Ab dann lebte Edwin Gloor mit Unterbrüchen in der Stadt Zürich. Über eine eigene Wohnung verfügte er vorerst nicht. Er hauste als Untermieter. Bei seiner Ankunft lebten rund 209'000 Menschen in der Limmatstadt. Wie der Rest der Schweiz befand sich die mit Abstand bevölkerungsreichste hiesige Stadt im Ausnahmemodus. Als Folge des Ersten Weltkrieges waren zahlreiche Lebensmittel und Brennstoffe rationiert. Zu ihrer Produktion, zu ihrer Beschaffung und zu ihrer Verteilung erliessen die zuständigen Stellen des Bundes ein kriegswirtschaftliches Regime. Mit der Setzung von Höchstpreisen, Ausfuhrverboten, Anbauprogrammen und Rationierungen sollte die Landesversorgung im Rahmen des Möglichen in geordneten Bahnen gehalten werden. Fakt war, dass sein Lebensraum fortan der Kreis 4 der Stadt Zürich bildete. Zusammen mit seiner Frau Gertrud – sie hatten 1922 geheiratet – lebte man in einem bescheidenen Mehrfamilienhaus an der Müllerstrasse 72. Unter diesem Dach wohnten sechs Haushaltungen. Eigentümerin der Liegenschaft war eine Privatperson. 1923 kam eine Tochter zur Welt; 1926 folgte ein Sohn. Weitere zwei Jahre später bezog die Familie eine neu gebaute Genossenschaftswohnung an der Zypressenstrasse 115. Die Allgemeine Baugenossenschaft hatte dort eine Siedlung errichtet. Als deren Architekt fungierte Otto Streicher (1887-1968). Die Liegenschaft ist bis heute in den Händen derselben Genossenschaft. 1932 erhielt die vierköpfige Familie mit der Geburt eines Sohnes weiteren Zuwachs. Ein eigener Telefonanschluss folgte im selben Jahr. Im Herbst 1937 erfolgte ein weiterer Umzug. Es sollte der letzte sein. Bis zu seinem Hinscheiden lebte er mit seiner Familie an der Rebgasse 5. Das Mehrfamilienhaus wurde 1937 errichtet. Bei diesem Bauprojekt hatte Edwin Gloor seine Hände im Spiel. Doch dazu später mehr. Die Wohnung an der Rebgasse 5 bildete in der Folge den Dreh- und Angelpunkt des privaten Lebens einerseits und allen seinen geschäftlichen Aktivitäten andererseits. Sie wurde zur gloorschen Schaltzentrale. Das Blockrandgebäude befindet sich bloss einen Steinwurf vom Stauffacher entfernt.


Seine Berufsbezeichnung, diejenige eines Bankkorrespondenten, liess er im September 1938 auf seiner Meldekarte bei der städtischen Einwohnerkontrolle zu «Kaufmann» ändern. Seither pries er sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit als «Edwin Gloor mit langjähriger Praxis auf Advokaturen, Notariaten, Gerichten, Betreibungsämtern, Gemeindekanzleien, Zivilstandsämtern und Banken» an. Man sollte sich «vertrauensvoll» an ihn wenden. Mit diesem mutmasslichen beruflichen Erfahrungsschatz wollte er auftrumpfen und damit Vertrauen schinden. Sein Haushaltseinkommen blieb Zeit seines Lebens im Bereich eines soliden, mittleren Arbeitereinkommens. So bewegte sich sein jährliches steuerbares Einkommen mit Schwankungen zwischen 4'400 Franken (1930) und 10'100 Franken (1950). Steuerpflichtiges Vermögen besass er nie. Am 27. Dezember 1950 endete das Leben von Edwin Gloor tragisch. Er nahm sich in der Villa Seerose in Horgen das Leben. Dort, in einer «herrlichen» Liegenschaft, die er selbst als Makler im selben Sommer als «einer der schönsten Sitze der Schweiz» zum Verkauf angeboten hatte. Neben Trauer und Kummer der Hinterbliebenen hinterliess er einen immensen finanziellen Scherbenhaufen. Ihren Anfang nahm die verworrene Geschichte 14 Jahre zuvor.


Erster Versuchsballon: Genossenschaft «Frohes Heim»


Am 27. Februar 1936 gründete Edwin Gloor eine Genossenschaft. Sie firmierte unter «Frohes Heim». Der Gründer amtete als einziges Mitglied des Vorstandes. Seine Wohnung an der Zypressenstrasse 115 diente ihm als Geschäftsdomizil. Die Genossenschaft verstand sich als ein Zusammenschluss von Interessenten für den Bau, den Kauf, die Verwaltung und die Veräusserung von Liegenschaften. Der mit der Gründung verbundene ausdrückliche Anspruch lag in der Beschaffung von Arbeitsgelegenheiten im Bau-gewerbe. Dieses Motiv bildete in den darauffolgenden Jahren den roten Faden in seinen Aktivitäten. In der Tagespresse erschienen in der Folge entsprechende Anzeigen. Sie waren durchwegs in einem pathetischen Duktus gehalten. So konnte man im Mai 1938 in der «NZZ» Folgendes lesen: «Wer hilft: (…) In der Zeit vermehrter Opfer für die Landesverteidigung ist auch vermehrter Sinn für das Schweizervolk am Platz. Im Schweizerhaus soll wieder Wohlstand und Glück einziehen.» Gemäss dortiger Eigendeklaration sollen durch seine Bauprojekte bis dahin über 100 Personen zu Arbeit gekommen sein. «Arbeitsbeschaffung ist die beste Landesverteidigung», so lautete eine andere seiner Devisen.

 

Die Landesaustellung öffnete ihre Tore in Zürich Anfang Mai 1939. Bei der «Landi» handelte sich um einen aufgeladenen nationalen Grossanlass zur geistigen Landesverteidigung. Ein Zweiter Weltkrieg lag in der Luft. Edwin Gloor nutzte den Anlass für seine Zwecke. Er fuhr eine Kampagne in den Medien. Seine Botschaft war eindringlich, aber einfach gestrickt: «Die Landesausstellung ist ein Werk von lauter Optimisten geschaffen. (…) Eine Tat geschaffen von Optimisten ist auch die Genossenschaft “Frohes Heim“». In diesem Inserat tauchten erstmals sogenannte Immobilienzertifikate. Sie waren gemäss Eigendeklaration zu 4 Prozent verzinslich. Eine genauere Umschreibung, um was es sich dabei handelte, fehlte. Diesem Aufruf zur Platzierung von Geld war mässiger Erfolg beschieden. Doch spätestens ab diesem Zeitpunkt nahm das Unheil seinen Lauf. Gloor war von seiner Mission mehr denn je überzeugt. So fand sich zum Jahreswechsel Ende 1939 in der «NZZ» eine seiner typischen Anzeigen: «1940 verlangt von uns allen den grösstmöglichen EINSATZ damit die schwere Zeit möglichst mit Glück überwunden wird. Mut – Ausdauer – Arbeitswille werden uns alle das neue Jahr erfolgreich durchschreiten lassen. EDWIN GLOOR, Rebgasse 5, Zürich 4.»

 

Tatsächlich zeichnete seine Genossenschaft für mehrere Neubauprojekte verantwortlich. Dazu wurden Bauland oder Baulose geworben. Im Fokus standen freistehende Mehrfamilienhäuser oder Abschnitte von Blockrandbebauungen. In der Stadt Zürich gingen zwei solche Neubauten auf deren Konto: eine an der Rebgasse 5 und eine an der Morgartenstrasse 39. In der Stadt Baden waren es im Jahre 1939 zwei Mehrfamilienhäuser an der Zürcherstrasse 12 und 22. Diese Genossenschaftssiedlung bestand aus fünf viergeschossigen Blöcken.

 

Während des Zweiten Weltkrieges bewegte sich die zivile Neubautätigkeit auf Sparflamme. Alles war knapp, auch Baumaterialien. Die Baukostenindizes tendierten stark nach oben. Auch in der Eidgenossenschaft unterlagen alle privatwirtschaftlichen Aktivitäten einem strammen und rigoros umgesetzten Regime der Kriegswirtschaft. Der Raum für unternehmerisches Handel war landesweit und generell merklich begrenzt. Wohl daher kaufte die Genossenschaft «Frohes Heim» bereits bestehende Mehrfamilienhäuser: in Zürich-Seebach an der Schaffhauserstrasse 456, in Zürich-Affoltern am Finkenrain 8 sowie in Zürich-Wipkingen an der Hönggerstrasse 41, 43 und 45. Die letztgenannte Liegenschaft besass eine Grundstücksfläche von knapp 1’778 Quadratmeter. Im August 1936 wurde sie von der Genossenschaft «Frohes Heim» für 584'000 Franken von einer Erbengemeinschaft erworben.

 

Zusehens machten sich in der Genossenschaft Ermüdungserscheinungen breit. Die selbsternannte Arbeitsbeschaffungsmaschine kam ins Stottern. Sie hatte sich in eine Sackgasse manövriert. Am 20. September 1941 tritt Edwin Gloor, die treibende Kraft hinter dem Unterfangen, aus dem Vorstand zurück. Sein Nachfolger M. H. verlegte das Firmendomizil noch am selben Tag nach Langnau am Albis. Wenige Wochen später beschloss die Generalversammlung die Liquidation der Genossenschaft. Und rund ein Jahr später kam die einzige Liegenschaft, die noch in der genossenschaftlichen Bilanz als Aktivposten aufgeführt war, unter den Hammer. Es handelte sich um die Liegenschaft an der Hönggerstrasse 41 und 43 (ohne Nummer 45). Im Gantlokal wurde für sie 330'000 Franken gelöst. Mit einem Verlustgeschäft wurde das Kapitel Genossenschaft «Frohes Heim» für immer geschlossen.


Zweiter Versuchsballon: Immo-Hyp AG


Damit endete das unternehmerische Wirken von Edwin Gloor nicht. Im Gegenteil. Denn bereits im November 1940 hatte er die «IMMO-HYP Immobilien und Hypotheken AG» gegründet. Nicht überraschen konnte ihr statutarische Zweckartikel. Sie bezweckte den Bau von Wohn- und Geschäftshäusern, den An- und Verkauf sowie das Verwalten von Liegenschaften auf eigene und fremde Rechnung sowie die Übernahme, Abgabe, Verbürgung und Verwaltung von Hypotheken, insbesondere solche im zweiten Rang. Es ging weiterhin um Immobilien. Das Aktienkapital betrug 100'000 Franken und teilte sich in 200 volleinbezahlte Inhaberaktien auf. Edwin Gloor war einziger Verwaltungsrat; die Immo-Hyp hatte ihren Sitz an der bereits bekannten Rebgasse 5. Die Firma «IMMO-HYP» mit eigenem Logo – einem stilisierten Wohnhaus auf einem angedeuteten Hügel thronend, umschlossen von einem Kreis – war geboren. Der dazugehörige Werbespruch lautete: «Stützt Haus und Hypothek».

 

Es wurden ambitionierte Wachstumspläne ausgeheckt. Um sie zu verwirklichen, strebte man zuerst eine Erhöhung des Eigenkapitals an. Eine für Ende März 1941 geplante Verdoppelung des Eigenkapitals im Rahmen einer ausserordentlichen Generalversammlung kam nicht zustande. In der Folge wurde der eigene Prospekt zur Zeichnung nochmals intensiv in der Tagespresse beworben. Gesucht wurden Anleger, die bereit waren, sich an einer Kapitalerhöhung im Umfang von 900'000 Franken zu beteiligen. Dazu sollten 1'800 Inhaberaktien zum Nominalwert von 500 Franken ausgegeben werden. In zahlreichen Zeitungsinseraten wurde für «seriöse Kapitalanlagen mit IMMO-HYP» die Werbetrommel gerührt. Als Argumente standen Schlagworte wie «Sicherheit in Grundbesitz», «beste Hypotheken» oder «in der Heimaterde verankerte» Anlagen. Sie sollten zum Bezug des Prospekts animieren. Allen Anstrengungen zum Trotz verlief die angestrebte Kapitalerhöhung im Sand. Zur finanziellen Einordnung: Ende 1942 wies die Gesellschaft ein Immobilienvermögen in der Höhe von knapp 1.3 Mio. Franken aus. Ihm standen auf der Passivseite der Bilanz Hypotheken in gut 1.3 Mio. Franken gegenüber. Durch Verkäufe von Liegenschaften im Folgejahr reduzierten sich die beiden Positionen auf 187'000 bzw. auf 163'500 Franken. Die Gesellschaft war offensichtlich schwach kapitalisiert; die Eigenkapitaldecke fiel äusserst dünn aus.

 

Gloor wäre nicht Gloor gewesen, wenn er die Flinte ins Korn geworfen hätte. Sein neues Zauberinstrument hiess Immobilienzertifikate. Er hatte bereits im Frühling 1939 mit ihnen erste zaghafte Gehversuche unternommen. Sie sollten – gemäss Eigenwerbung – Miteigentum an den erworbenen Liegenschaften begründen. Auch operierte er zwischenzeitlich mit nicht näher definierten Beteiligungen an Immobilien- und Hypothekenbesitz in Beträgen ab Fr. 500.-. Mit den Immobilienzertifikaten beabsichtigte die Immo-Hyp ihr Anlageprofil zu schärfen. Im September 1941 erfolgte erstmals ein breitangelegter Postversand mit Prospekt und Zeichnungsschein für eben diese Immobilienzertifikate. Er ging an zahlreiche Haushalte in der Deutschschweiz. Parallel dazu lief die Kampagne in der Tagepresse weiter. Die mediale Präsenz der Immo-Hyp war hoch.

 

Aufmerksam auf dieses marktschreierische Getöse wurde im Oktober 1941 zum ersten, aber nicht zum letzten Mal auch die Wirtschaftsredaktion der «NZZ». Ausgangspunkt bildete ein redaktioneller Beitrag über die Aufmachung des «ungewohnten Prospektes». Darin wurden besonders vollmundige Ankündigungen aus dem fraglichen Prospekt der Immo-Hyp zitiert: «Unsere Gesellschaft soll so weit gebracht werden, dass jedermann in der Schweiz, der einen Liegenschaftenkauf oder Verkauf oder eine Hypothekenangelegenheit tätigen will, die Dienste unserer Gesellschaft in Anspruch nimmt.» Das war eine steile Ansage. Doch die «NZZ» analysierte nüchtern. Es wurden mehrere Schwachstellen angeführt: Es fehle an Angaben zu Datum und zur Kontrollstelle sowie die letzte Gewinn- und Erfolgsrechnung. Mit hellseherischem Weitblick endete dieser Zeitungsbeitrag: «Wer sich an der Kapitalerhöhung der Immo-Hyp beteiligt, wird sich über das Aussergewöhnliche, das dieser Prospekt bietet, im klaren sein müssen.»

 

Kurze Zeit später doppelte die Redaktion nach. Eigenartig sei es, dass der dem Prospekt beiliegende Zeichnungsschein an «Herrn Gloor» persönlich gerichtet sei. Ebenfalls hinterfragt wurde die ausdrückliche Verwendung von «Hypothekenbank». Denn die Immo-Hyp war nicht dem Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen unterstellt. Sie fände sich nicht auf der entsprechenden Liste. Insofern sei zu prüfen, ob nicht eine einschlägige Strafnorm erfüllt sei. Denn das unberechtigte Benutzen von «Bank» oder «Bankier» war unter Androhung von Busse oder Gefängnis verboten. Der Gründer der Immo-Hyp liess sich nicht beirren. Er kontere öffentlich in der Tagespresse:

 

            « (…) Prospekt scheint einige Gemüter der Juristenwelt in Bewegung gebracht zu haben. In Ermangelung fruchtbarer Arbeit blättern die Herren im Paragraphenwald der Gesetze zurück bis zum römischen Recht und fördern dabei zutage, dass dieser oder jeder Buchstabe, dieses oder jenes Wort eigentlich anzufechten wäre. Wir danken für die Ehre, finden jedoch die Sache lächerlich.»

 

Zwar hatte mindestens einer von damals vier für das Ressort Wirtschaft zuständigen NZZ-Redaktoren an der Falkenstrasse 11 Lunte gerochen. Gleichwohl tappte man vorerst weiter im Dunkeln. Und es sollten weitere neun Jahre ins Land ziehen, bis sich der Nebel – auf den ersten Blick zumindest – schlagartig, letztlich aber doch zäh zu lichten begann.


Dritter Versuchsballon: Immo-Hyp Propria AG


Die Firma «Immo-Hyp» benutzte Edwin Gloor im Februar 1943 abermals. Er gründete die «IMMO-HYP Propria AG». Die sprachliche Nähe zur weiterhin aktiven «IMMO-HYP Immobilien und Hypotheken AG» war gewollt. Beide Unternehmen hatten ihren Sitz an der Rebgasse 5. Das Aktienkapital belief sich auf 50'000 Franken. Davon waren jedoch nur 20'000 Franken einbezahlt worden. Edwin Gloor übernahm auch in dieser Gesellschaft das Präsidium im Verwaltungsrat. Dort stand ihm H. J. zur Seite, ein in Zürich wohnhafter Vertreter. Er war ein unbeschriebenes Blatt. Bei seinem Tod im Sommer 1946 wurde kein Nachfolger eingesetzt. Edwin Gloor stand wieder allein auf der Kommandobrücke.

 

Ab ihrer Gründung war die Immo-Hyp Propria das Anlagegefäss im gesamten Unternehmens-konstrukt von Edwin Gloor. Faktisch und rechtlich wurden alle direkt gehaltenen Liegenschaften wie auch Beteiligungen an anderen Gesellschaften durch sie gehalten. Sie fungierte als Vertragspartei bei Käufen und Verkäufen von allen immobilienaffinen Anlagen. Und als juristische Person war durchwegs als Eigentümerin der Liegenschaften im Grundbuch eingetragen. Vermögenswerte waren dort parkiert. Hier liefen die Fäden zusammen. Dieser Fakt sollte sich dereinst als zentral entpuppen.

 

Die erste Liegenschaft in der Bilanz der Immo-Hyp Propria war ein Teil einer Blockrandbebauung in Zürich-Seebach an der Schaffhauserstrasse 456. Diese Liegenschaft wurde aus dem Bestand der Immo Hyp übernommen. Letztere konnte sie ihrerseits aus der Liquidationsmasse der Genossenschaft «Frohes Heim» herauskaufen. Auch zwei weitere Zürcher Liegenschaften, diejenigen an der Rebgasse 5 und am Finkenrain 8, gelangten über einen Strohmann bzw. eine -frau kommend – erst in späteren Jahren – ins Immobilienportfolio der Gesellschaft. Die Brisanz lag daran, dass sie ursprünglich der Genossenschaft «Frohes Heim» gehörten. Der Kreis schloss sich. Im Rückblick betrachtet handelte es sich um Scheintransaktionen. Der serbelnden Genossenschaft wurde damit schlicht Substanz entzogen.

 

Die treibende Kraft Edwin Gloor dachte – wie konnte es anders sein – gross und hegte räumliche Expansionsgelüste. Dabei setzte er neben den Unternehmensgründungen in der Stadt Zürich vorerst zwei auf weitere Instrumente. Einerseits warb er mit Zeitungsannoncen für «Vertreter-innen» in der ganzen Schweiz. Näher umschrieben war diese als Nebenerwerb deklarierte Tätigkeit nicht. Über die Jahre hinweg sprach man zunehmend, aber nicht durchgehend vertrauenserweckend von Agenturen oder Generalagenturen. Dahinter steckten zwar reale Einzelpersonen, aber nie gesellschaftsrechtliche Konstrukte. Die fraglichen Akteure führten oftmals Treuhand- und Revisionsbüros oder sie waren als Notare oder Rechtsanwälte tätig. Andererseits gründete und betrieb die Immo-Hyp Propria nachweislich zwei Zweigniederlassungen. Eine befand sich in Lachen (SZ), die andere in Chur (GR). Unter dem Strich beinhaltete dieses Vertriebsnetz im Jahre 1950 elf Standorte in der Deutschschweiz, zwei im Tessin sowie einen der Westschweiz. Doch die personelle Decke war dünn: So deckte der Berner Treuhänder W. R. als Agent die Standorte Bern, Biel und Lugano allein ab.


Der Clou: Immo-Hyp neu mit Banklizenz


Um die Miteigentumszertifikate wirksamer unter die Leute zu bringen, musste die Unternehmensgruppe nachbessern. Dabei gelang Edwin Gloor ein Husarenstreich. In der Generalversammlung vom 30. Mai 1944 wurden die Statuten der Immo-Hyp geändert. Neu firmierte man unter «IMMO-HYP Immobilien- & Kredit-Bank AG». Die eidgenössische Bankenkommission erteilte ihr Plazet dazu bereits zwei Tage später. Im Nachgang zur Statutenänderung wurde das Aktienkapital um 50'000 auf 250'000 Franken erhöht. Fortan war die Immo-Hyp Bank AG im Jahrbuch «Das Schweizerische Bankwesen», das von der Schweizerischen Nationalbank herausgegeben wurde, in der Kategorie «Übrige Banken» zusammen mit rund 50 weiteren Gesellschaften aufgeführt.


Das Erhalten der Banklizenz war ein Erfolg; die eigene Reputation damit gestärkt. Mit diesem Schachzug hatte sich Edwin Gloor lernfähig gezeigt. Er konnte damit eine Schwachstelle in seinem Konstrukt ausmerzen. Mit der Neupositionierung der Gesellschaft wurde mit J. R. V. erstmals ein Direktor bestellt. Im Geschäftsbericht 1944 würdigte man ihn überschwänglich als «Bankfachmann mit langjähriger Praxis im In- und Ausland, namentlich in London und New York». Zudem sei er auf die Vermögensverwaltung spezialisiert. Im August 1948 wurde er zusammen mit einer der Söhne von Edwin Gloor und F. M. in den Verwaltungsrat der Bank gewählt. Die operative Leitung als Delegierter des Verwaltungsrates oblag neu Eric Gloor.

 

Den Markt bearbeiteten nun die Immo-Hyp Propria und die Immo-Hyp Bank gleichsam als siamesische Zwillinge, zumal die beiden Gesellschaften gegenseitig einen substanziellen Anteil am jeweiligen Aktienkapital hielten. Edwin Gloor hatte hüben wie drüben die Zügel fest in der Hand. Die sehr enge faktische, ökonomische und personelle Verflechtung zeigte sich auch darin, dass das Vertriebsnetz der Immo-Hyp Propria für Bankzwecke und umgekehrt genutzt wurde. Denn gesellschaftsrechtlich gesehen verfügte die Immo-Hyp Bank lediglich über zwei Zweigniederlassungen: in Bern zuerst am Hirschengraben 5 und später an der Aarbergergasse 8 sowie in Chur an der Acquasanastrasse 38.

 

Wenige Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa schrieb Edwin Gloor Mitte Mai 1945 als Verwaltungsrat im Geschäftsbericht 1944 das Folgende: «Die Firma blickt guten Mutes in die Zukunft und beabsichtigt, den Betrieb weiter auszubauen. (…) Bei der sich unter Ausschaltung von Risikogeschäften nach streng seriösen Grundsätzen richtenden Führung unserer Bank ist mit einer Fortsetzung der stetigen Entwicklung zu rechnen.» Die Bilanzsumme der Bank kam jedoch nicht vom Fleck. Sie verharrte bis zum Untergang der Gesellschaft auf moderatem Niveau.


Fortsetzung folgt.


Bildquelle: NZZ, Nr. 893, 18. Mai 1938, Ausgabe 3.



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