Tragödie und Absturz – ein Chaos bricht aus
Im Dezember 1950 erschienen letztmals Werbeinserate für die Immobilienzertifikate der Immo-Hyp in der Tagespresse. Dass sie bald der Geschichte angehören würde, ahnte niemand. Am 26. Dezember 1950 berichtete die NZZ auf der Titelseite über die Lage auf dem Kriegsschauplatz in Korea. Edwin Gloor verschwendete keinen Gedanken daran. Er hatte andere Sorgen. An diesem Tag wehte in Zürich eine mässige Bise, da und dort schneite es. Zusammen mit seiner Frau und seiner Schwägerin besuchte er die festlich geschmückte Gartenanlage des Hotels Baur au Lac am Bürkliplatz. Tags darauf fuhr Edwin Gloor frühmorgens mit seinem Auto nach Horgen. Auf einem Zürcher Polizeiposten deponierte er zuvor einen Brief. Auch seinen Angehörigen erhielten einen Brief. Darin kündigte er seinen Tod an. Dort in der Villa Seerose angekommen setzte er sich seinem Leben ein Ende. Er vergaste sich. Damit endete die umstrittene Geschäftstätigkeit der Immo-Hyp-Geschichte abrupt. Die Immo-Hyp-Gesellschaften waren auf einen Schlag ohne Führung. Chaos brach aus.
Das Fass zum Überlaufen brachte der Kauf der Lausanner Gesellschaft Esplanade de Bourg SA, einem laufenden Bauprojekt in der Lausanner Innenstadt. Das Grundstück hatte eine Fläche von 552 Quadratmetern. Die Transaktion basierte auf einem Wechselgeschäft. Zusätzlich zur bereits geleisteten Zahlung von 400'000 Franken waren vier weitere Zahlungen über je 100'000 Franken pro Quartal vereinbart worden. Das erste Wechselakzept war Mitte Dezember 1950 fällig. Edwin Gloor gelang es, die Zahlung um einen Monat zu verschieben. Zudem drohte eine Konventionalstrafe über 400'000 Franken, wenn weitere Wechselzahlungen nicht erfolgen würden. Diese Perspektive muss Ernst Gloor seine letzte Zuversicht geraubt haben. Dieses Geschäft brach ihm das Genick.
Nun war Feuer im Dach. Da alle Fäden zuvor beim Verstorbenen zusammengelaufen waren, war das Immo-Hyp-Vehikel augenblicklich führungslos und blockiert. Damit schlug die Stunde von Dr. Marcel Saner (1913–1987). Die Zürcher Vormundschaftsbehörden bestellten ihn anfangs Januar 1951 gemäss einer Verfügung des Bezirksgerichtes Zürich zum Beistand der Immo-Hyp Propria. Er war damals Direktor der Zürcher Anker Treuhand AG. Der Sitz der Gesellschaft befand sich an der Zürcher Bahnhofstrasse 26.
Der in Windeseile erstellte Lagebericht der Immo-Hyp Propria wies per Ende Dezember 1950 eine Bilanz mit Aktiven von 20.6 und Passiven von 23.9 Millionen Franken aus. Die Zahlen vermittelten zu diesem Zeitpunkt den Eindruck, dass die Gläubiger und die Anleger der Zertifikate mit einem blauen Auge davonkommen würden. Und in den Medien herrschte die Vorstellung vor, dass man Edwin Gloor durchaus ein gewisses kaufmännisches Versagen vorwerfen könne. Aber eigentlich sei er ein Idealist gewesen. Er hätte sich lediglich zu viel aufgebürdet. Auch sei er auf «seine Berater reingefallen». Selbst die NZZ teilte diese Einschätzung: «Dem Leiter der Immo-Hyp-Gruppe, Edwin Gloor, diesem 55-jährigen Idealisten und Optimisten von unglaublichem Format, ist das ihm aufgebaute Finanzgebilde über den Kopf gewachsen, das ihn seine kaum sehr guten Berater nicht von allzu gewagten Engagements abgehalten haben.»
Im Rahmen einer einberufenen Pressekonferenz informierte Marcel Saner die interessierte Öffentlichkeit über den Stand der Dinge. Damals konnte der eingesetzte Beistand noch nicht wissen, dass ihn dieses Engagement noch viel Ungemach bringen sollte. Vorerst war es «nur» ein Mandat wie andere auch. Bereits am 19. Januar 1951 wurden den in Zürich versammelten Inhabern von Zertifikaten, Obligationen oder Kontoheften nackte Fakten vorgelegt. Anwesend oder vertreten waren 1'097 Gläubiger. Sie repräsentierten eine Kapitalbeteiligung in der Höhe von knapp 6.5 Millionen Franken. Dabei handelte es sich um eine vornehmlich um eine grosse Schar von Kleinanlegern. Das Vermögen der Immo-Hyp Propria setzte sich zu diesem Zeitpunkt aus 34 Renditenliegenschaften, Bauland, Beteiligungen an zwei Hotels und der Sonnenbergbahn sowie weiteren Beteiligungen an Projektentwicklungen. In der Tagespresse erschienen zahlreiche Artikel zum Fall. So titelte «Die Tat» Mitte Januar 1951 mit «Immo-Hyp verworren, aber kein Bluff». Das öffentliche Interesse war enorm hoch. Zudem sah sich die Direktion des Hotels in Montreux zu einer Stellungnahme in der Presse veranlasst. Das Haus sei durch die Krise bei der Immo-Hyp nicht betroffen. Es galt die eigene Reputation zu schützen.
Aus dem Kreis der Gläubiger wurde ein siebenköpfiger Gläubigerausschuss gewählt. Er stand Marcel Saner beratend bei. Um die Interessen der Anleger der Immo-Hyp-Gesellschaften bestmöglich geltend zu machen, rief man zudem einen eigenständigen Schutzverband ins Leben. Aufrufe zur Teilnahme erschienen in der Tagespresse. Dort sollten die Interessen der geprellten Anleger gebündelt werden. Ebenfalls an dieser Orientierung anwesend waren die Anleger der Vaduzer Immobilien- und Hypotheken-Treuhandgesellschaft. Sie waren Gläubiger von weiteren zwei Millionen Franken. Aus der Schweiz flossen über 2.5 Millionen Franken an diese Gesellschaft. Die Immo Hyp Propria bürgten ihr zudem für Hypotheken über 1.9 Mio. Franken. Bei der Durchsetzung ihrer Forderungen befanden sich in einer hoffnungslosen Situation.
Die Behörden erliessen einen Schuldenruf. Das Zürcher Bezirksgericht gewährte im März 1951 eine Verlängerung der Nachlassstundung um weitere vier Monate. Eine geordnete Abwicklung schien aufgegleist zu sein. An der zweiten Gläubigerversammlung, sie fand im August 1951 im Gesellschaftshaus zur «Kaufleuten» statt, lagen die Karten auf dem Tisch: ein Scherbenhaufen. Bestand zu Beginn des Jahres noch leise Hoffnung auf einen überschaubaren Schaden, hatte sich das Blatt in der Zwischenzeit gewendet. Die Lage sah zappenduster aus. In den beiden Immo-Hyp-Gesellschaften wurde keine Buchhaltung geführt, die diese Bezeichnung verdient hätte. Statt eine kreative zu führen, verzichtete man fast gänzlich auf sie.
Immerhin existierte ein Verzeichnis der Geldgeber. Unter dem Strich mussten die eingesetzten Experten erkennen, dass sich die Zustände als «deprimierend» und «katastrophal» erwiesen. Edwin Gloor, der mit Vertrauen werbende Kaufmann, hatte über Jahre Misswirtschaft betrieben, die jeglicher Beschreibung spottete. Kaufmännische Grund-sätze kannte er nur vom Hörensagen. Er ging Zahlungsverpflichtungen mit Wucherzinsen bis zu 20 Prozent ein, entrichtete massiv überhöhte Vermittlungsgebühren und Provisionen aus und erwarb Liegenschaften, ohne sie vorgängig besichtigt, geschweige denn näher geprüft, zu haben. So überraschte es nicht, dass nun da und dort von bewusster Täuschung, betrügerischen Machenschaften, Manipulation oder unverantwortlichen Methoden die Rede war.
Insgesamt zeigte sich ein sehr trübes Bild: Aktiven von 17.1 Millionen Franken standen Schulden in der Höhe von rund 41.4 Millionen gegenüber. Der Werthaltigkeit etlicher Bilanzpositionen erwiesen sich ohne nähere Prüfung als nicht stichhaltig. So stellte mitunter sich rasch heraus, dass die Wertschriftenkonto rein fiktiver Natur war und die ausgewiesenen Barmittel per Ende 1950 nicht 89'000, sondern nur 1'500 Franken betrugen. Auch die Beteiligung an der Sonnenbergbahn erfuhr eine sofortige Wertberichtigung. Sie wurde um 250'000 auf 150'000 Franken reduziert. Die Gläubiger hatten nun doch bittere Pillen zu schlucken.
Dennoch wählten sie nach über sechs Stunden Sitzungsdauer einen siebenköpfigen Gläubigerausschuss. Zudem wurden die beiden Rechtsanwälte Dr. W. H. und Dr. E. E. als Liquidatoren vorgeschlagen. Beide bedauerten, dass die im Vorjahr eingeleitete Strafuntersuchungen nicht gründlich genug durchgeführt worden sei. Auch orteten sie ein eklatantes Versagen bei der externen Kontrollstelle der Immo-Hyp Propria. Diese Aufgabe oblag dem diplomierten Buchhalter P. T. Er führte damals die T.R.A.G. Treuhand- und Revisionsgesellschaft für Handel, Gewerbe und Industrie AG. Eine entsprechende Untersuchung drängte sich auch aus dieser Sicht auf.
Rechtliches Gutachten bringt punktuell Licht ins Dunkle
Zusätzlich zum finanziellen Schaden stellte sich eine anspruchsvolle rechtliche Frage: Wer war überhaupt Aktionär der Immo-Hyp Propria AG? Zuhanden der Vormundschaftsbehörde verfasste der Zürcher Rechtsgelehrte August Egger (1987-1954) im Frühling 1951 ein Gutachten. Der emeritierte Universitätsprofessor war eine Kapazität auf dem Gebiet des Familienrechtes. Die ihm gestellte Frage war knifflig. Hinzu kam eine Aktenlage, die ein chaotisches Bild zeigte. Das Gutachten selbst umfasste 65 A4-Seiten.
Aus Sicht des Gutachters kamen grundsätzlich drei Antworten darauf auf die Frage: Die Aktien gehörten erstens Edwin Gloor. Demnach wären sie ein Teil seines persönlichen Nachlasses gewesen. Zweitens könnten sie der Mieterin des Banktresorfaches gehören, in dem die Aktien seit 1948 verwahrt worden waren. In diesem Fall wäre die Immo-Hyp Propria AG selbst deren Eigentümerin. Oder drittens müssten die Inhaber der Miteigentumszertifikate als Eigentümer und Aktionäre der Gesellschaft in Betracht gezogen werden. Die ersten beiden Fälle handelte der Gutachter auf wenigen Seiten ab. Sie mündeten in einer Sackgasse. Folglich blieben nach dem Ausschlussprinzip nur die Inhaber der Miteigentumszertifikate. Eggers Herleitung fusste vor allem auf Aussagen, die sich in Werbeschriften, in Protokollen oder von Edwin Gloor selbst abgefassten Dokumenten fanden. Darin wurde gebetsmühlenartig und bei jeder Gelegenheit betont, dass die Aktien der Immo-Hyp Propria den Inhabern der Zertifikate gehören würden. Zwar sei der Vorgang der Eigentumsübertragung – so das Gutachten – nicht völlig korrekt abgelaufen. Aber die Absicht des Gründers sei diesbezüglich klar gewesen. Eine andere Sichtweise sei ausgeschlossen.
Für die geprellten Anleger brachte diese Gutachten zwar eine punktuelle rechtliche Klärung, aber am finanziellen Schaden änderte sich deshalb nichts Nennenswertes. Alle Inhaber von Miteigentumszertifikaten verfügten als Gesamtheit über sämtliche Aktien. Dabei hatte jeder von ihnen in Generalversammlungen bei Abstimmungen und Wahlen exakt eine Stimme. Vermögensrechtlich relevant war unter dem Strich vor allem die Frage nach der Sachanlage: «In Wirklichkeit könnte von einem solchen Miteigentum, von einer solchen Anlage in Sachwerte, von einem solchen “Hausbesitz“ der Geldeinleger gar keine Rede sein. (…) Die Objekte (…) gehörten ganz ausschliesslich der Immo-Hyp Propria. (…) Es war reine Phantastik von einem Miteigentum der Geldgeber untereinander zu reden. (…) Sie waren einfache Gläubiger, nicht anders als Obligationäre oder andere Geldgeber». Mit anderen Worten standen ihre Forderungen hinter denjenigen, die grundpfandgesicherte Kredite – sprich Hypotheken – gewährt hatten.
Edwin Gloor hatte den Anlegern nachweislich über Jahre hinweg eine derartige Scheinbeteiligung an Immobilien vorgegaukelt. Er hatte sie insbesondere darin getäuscht, dass sie als Eigentümer direkt an Sachanlagen beteiligt gewesen seien. Auch die Differenzierung mit unterschiedlichen Ausprägungen der Zertifikate erwies sich als blosse Fiktion. Die Gelder flossen nach deren Zeichnung in ein und denselben löchrigen Topf der Immo-Hyp Propria; Laufzeit, Sicherheit oder deklarierte Ausschüttungsrendite hin oder her. Damit bestätigte der Gutachter einer jener Kritikpunkte, die von der NZZ und von Hans Vontobel bereits früher ins Feld geführt hatten.
Einschätzung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartments
Das Implodieren des Immo-Hyp-Konstruktes löste ein weiteres Gutachten aus. Am 23. Januar 1951 bewilligte das Handelsgericht des Kantons Zürich eine Stundung für die «IMMO-HYP Immobilien- & Kredit-Bank AG». Doch das Gericht war sich seiner Zuständigkeit nicht sicher. Die Eidg. Bankenkommission schaltete sich auf Wunsch des Zürcher Gerichts ein. Sie wandte sich ihrerseits mit einem Schreiben an das Eidg. Justiz- und Polizeidepartments.
Mit dem Bundesbeschluss vom 30. August 1939 über Massnahmen zum Schutze des Landes und zur Aufrechthaltung der Neutralität galt in der Schweiz (kriegsbedingtes) Sonderrecht. Es galt auch für das ordentliche Bankengesetz. Statt einer vom Kanton bestimmten Instanz sollte demnach die Eidg. Bankenkommission für allfällige Stundungen zuständig sein. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die ausserordentlichen Vollmachten des Bundesrates über mehrere Jahre in Etappen ausser Kraft gesetzt. Im konkreten Fall stellte sich die Eidg. Bankenkommission auf den Standpunkt, dass dies bezüglich des Bankengesetzes seit Anfang 1950 wieder zutreffen würde. Dem nachfolgenden Schriftenwechsel konnte entnommen werden, dass die Sachlage vom Chef der Justizabteilung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartments anders beurteilt wurde. Da es dabei nur um die Zuständigkeit für die Stundungsentscheidung, nicht aber um die Liquidation selbst ging, wurde die «IMMO-HYP Immobilien- & Kredit-Bank AG» in der Folge liquidiert. Ende Dezember 1956 war dieser Prozess abgeschlossen.
Lange Bremsspur und unerwartete Nebenschauplätze
Nochmals ein Jahr später schlug das Zürcher Bezirksgericht den Gläubigern vor, einem Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung (Liquidationsvergleich) zuzustimmen. Mögliche Alternativen, nämlich die Fortführung der Gesellschaften noch deren Konkurs wurden als zweckmässig erachtet. So akzeptierte im März 1952 die Mehrheit der Gläubiger diesen Weg. In der Folge nahmen die gewählten Liquidatoren den Verkauf der einzelnen Liegenschaften und Beteiligungen der Immo-Hyp Propria in Angriff. Es folgten Einzelverkäufe von über 30 Liegenschaften. Die Palette der Käufer war breit: Sie reichte von Pensionskassen über Immobilienaktiengesellschaften bis hin zu Privatpersonen. Die Villa Seerose in Horgen, dort, wo Gloor tragischerweise starb, erwarb die Standortgemeinde. In einer Volksabstimmung vom 26. September 1954 genehmigten die Stimmbürger diesen Kauf. Ebenfalls veräussert wurden die Beteiligungen an Gesellschaften. So kamen etwas die Aktien und Inhaber-Obligationen der Sonnbergbahn im Dezember 1953 im Rahmen einer Gant unter den Hammer. Der gesamte Prozess dauerte über sechs Jahre. Erst am 5. Dezember 1958 wurde die Firma Immo-Hyp Propria im Handelsregister gelöst. Aber auch diese Verkäufe gingen nicht ohne Nebengeräusche über die Bühne.
Bundesgericht mehrfach gefordert
Im August 1952 ging bei der Zürcher Vormundschaftsbehörde ein anonymes Schreiben ein. Darin wurde dem Beistand Marcel Saner vorgeworfen, er hätte sich bei Liegenschaftsverkäufe im Rahmen der Liquidation der Immo-Hyp Propria unrechtmässig bereichert. Die Behörden erhoben zudem den Vorwurf der ungetreuen Geschäftsführung. Anfang September wurde die Polizei aktiv. Nach einer Einvernahme als Zeuge wurde Marcel Saner verhaftet und kam in Untersuchungshaft. Es bestand Verdunkelungsgefahr. Der Vorwurf bestand primär darin, dass er zu Unrecht Vermittlungsprovisionen beim Verkauf von Liegenschaften aus dem Bestand der Immo-Hyp Propria angenommen hätte. Marcel Saner bestritt diese Sicht der Dinge. Die Brisanz seiner Verhaftung lag darin, dass der Beschuldigte zu dieser Zeit ein Mitglied des Zürcher Kantonsrat war. Im April 1953 erklärte er dort seinen Rücktritt. Im selben Herbst stand er vor dem Zürcher Schwurgericht. Die Anklage lautete auf wiederholte Veruntreuung in der Höhe von 15'000 Franken, ungetreue Geschäftsführung in der Höhe von rund 4'100 Franken sowie der versuchten ungetreuen Geschäftsführung und auf falsche Anschuldigungen. Auch die NZZ berichtete detailliert über den Prozessverlauf. Das Zürcher Gericht verurteilte Marcel Saner zu einer bedingten Gefängnisstrafe von zehn Monaten. Die Bewährungsfrist betrug drei Jahre.
Der Fall landete vor Bundesgericht. Marcel Saner verlangte einen Freispruch in allen Anklagepunkten. Mit dem Urteil vom 21. Mai 1954 sprach ihn das höchste Gericht «lediglich» vom Vorwurf der Veruntreuung frei. Dieses Urteil hinterliess einen schalen Nachgeschmack. Denn damit bestätigte das Bundesgericht die Straflosigkeit für die Entgegennahme von Schmiergeldern. Vor diesem Hintergrund musste sich das Zürcher Schwurgericht das ursprüngliche Strafmass neu festlegen. Schliesslich wurde Marcel Saner im September 1954 rechtskräftig wegen ungetreuer Geschäftsführung, vollendenten Versuchs wegen ungetreuer Geschäftsführung und falscher Anschuldigungen einer bedingten Gefängnisstrafe von acht Monaten verurteilt.
Damit aber noch nicht genug. Auch in zwei weiteren Fällen musste sich das Bundesgericht in Lausanne dem Komplex Immo-Hyp annehmen. In einem weiteren Fall ging es um ein grundpfandgesichertes Darlehen in der Höhe von 400'000 Franken. Eine Privatperson hatte es Oktober 1950 der Immo-Hyp Propria gewährt. Neben dem Pfandrecht an drei Inhaberschuldbriefen in der Höhe von insgesamt 686'000 Franken bürgten solidarisch einerseits die Immo-Hypo Bank und andererseits Edwin Gloor persönlich als zusätzliche Sicherheit. Im Zuge der Abwicklung der Liquidation lehnten die Liquidatoren die Aufnahme dieser Forderung nebst Zinsen in den Kollokationsplan ab. Nach ihrer Einschätzung würde der fragliche Darlehensvertrag gegen das kantonale Wucherverbot verstossen. Daher sei die Forderung nichtig. Das Bundesgericht hob das vorinstanzliche Urteil im November 1954 auf. Das gesamte Darlehen abzüglich einer ausgerichteten Abschlusskommission von 10'000 Franken konnte daher im Nachlassverfahren als Forderung geltend gemacht werden.
Nur fünf Monate später folgte ein weiteres Urteil des Bundesgerichts. Auch in diesem Fall ging es um eine Gläubigerforderung im Nachlassverfahren. Die Liquidatoren anerkannten zwar die Forderung über 150'000 Franken an, nicht aber das geltend gemacht Grundpfandrecht über 80'000 Franken. Es lastete auf der Liegenschaft Rotwandstrasse 52 in Zürich. Dem Urteil konnte entnommen werden, dass Edwin Gloor gar nicht berechtig war, über den fraglichen Namensschuldbrief zu verfügen. Zudem war der Pfandvertrag durch ihn als Privatperson und nicht durch die Immo-Hyp Propria abgeschlossen worden. Daher fruchtete die Berufung nicht. Die Forderung war berechtigt, sie erhielt aber keinen privilegierten Status bei der Befriedigung der Gläubiger.
Neben dem Bundesgericht befasste sich tatsächlich auch der Bundesrat indirekt mit der Causa Immo-Hyp. Im Februar 1957 behandelte er eine Beschwerde der Terrex AG. Sie hatte der Immo-Hyp Propria im Dezember 1948 eine Liegenschaft in Lausanne verkauft. Dabei erzielte die Gesellschaft nach einer Haltedauer des Objektes von nur wenigen Tagen einen satten Gewinn. Zuvor gesprochene Subventionen für die Realisierung des Wohngebäudes sollten vor diesem Hintergrund nach einer Einschätzung der zuständigen Bundesbehörden nicht mehr ausgerichtet werden. Dagegen erhob die Terrex AG Einsprache. Der Bundesrat folgte dem Antrag aus dem Justiz- und Polizeidepartement. Demnach war die Streichung der Subventionen zurecht erfolgt. Die Empfängerin der Subventionen musste einen Teil der erhaltenen Mittel zurückbezahlen.
Traumatische Erfahrungen beeinflusste Gesetzesnovelle
Im März 1966 ergriff der Zürcher Nationalrat Paul Eisenring (1924-2016) im Parlament das Wort. Die grosse Kammer in Bern behandelte in dieser Zeit den Entwurf zum Bundesgesetz über die Anlagefonds. Knapp neun Jahre zuvor hatte der Neuenburger Nationalrat Paul-René Rosset (1905-1977) zu dieser Materie eine Motion eingereicht. In seinem Stellungsbezug betonte Eisenring die Bedeutung des Anlegerschutzes. Insbesondere sei es unabdingbar, dass die Fondsleitungen einer staatlichen Aufsicht zu unterstellen seien. Dabei erinnerte er an die «seinerzeitige Angelegenheit der Immo-Hyp und Immo-hyp Propria». Damals sei, so der Parlamentarier, sehr für Geld zu Lasten der Sparer verloren gegangen. Dies vor allem auch deshalb, weil es damals keine Kontrollen gab. Der besagte Fall hatte offensichtlich tiefe Spuren im seinem Gedächtnis hinterlassen.
Die Moral von der Geschichte: Gratislektionen
Beim eigenen Investieren wie auch beim Anlegen ist es kein schlechter, sondern ein guter Rat, sich nach am Sprichwort «Schuster bleib bei deinen Leistungen» zu richten. Kontrollierte Diversifikation ist dabei Pflicht, ein wildes Zusammenkaufen à la Hunter-Strategie (vgl. Fall Swissair) ist hingegen Gift.
Man sollte nur in Märkte investieren und dort Geld anlegen, die man kennt oder zumindest zu kennen glaubt. Das gilt in allen Dimensionen, insbesondere in geografischer, sektorieller und thematischer Hinsicht. Neuland als Anlegerin oder Anleger wie auch als Unternehmerin oder Unternehmer zu betreten, geht immer mit Chancen und Risiken einher. Die eigene Risikofähigkeit bestimmt sich dabei massgeblich durch die Höhe des eigenen Anteils an vorhandenem Eigenkapital. Je höher die Eigenkapitalquote ausfällt, desto grösser darf das eigene Risikobudget sein.
Innovationen, sei es auf Stufe eines Unternehmens, sei es bei Anlagenprodukten, lassen sich nicht mit Gesetzen verordnen. Sie brauchen Freiraum: Gesetze folgen Innovationen. Das Umgekehrte funktioniert nicht und bildet eine Sackgasse für alle. Aber Anlegerinnen und Anleger sollten sich bei ihren Aktivitäten jederzeit bewusst sein, auf welche Karte sie jeweils ihren Einsatz setzen: Junge Wilde oder etablierte, arrivierte Akteure. Auch hier vermag ein Diversifikationsansatz hilfreich sein.
Aus manifesten und dokumentierten Misserfolgen kann man – zumindest in der Theorie – lernen. Insbesondere für gesetzgebende Instanzen bieten sie, die Misserfolge, ein Lernfeld. Es gilt nicht zu spät, aber auch nicht zu früh, das «Richtige», richtig zu regulieren.
Unternehmen, die aus einer Anlagetätigkeit heraus prospektiv eine fixe und stabile Anlagerendite in Aussicht stellen oder eine solche gar versprechen, haben nur scheinbar das ökonomische Ei des Kolumbus gefunden. Solchen Akteuren sollte aus Prinzip nicht und nie vertraut werden. Denn hier muss etwas faul sein. Es gilt also, der vermeintlichen Verlockung standzuhalten.
Durchwegs bei allen Akquisitionen von Projektentwicklungen, Bestandesliegenschaften oder auch von Anlagevehikeln (u. a. Private-Equity-Gefässe) ist die Durchführung von angemessenen Prüfprozessen – im Jargon wird von Due-Diligence-Prozessen gesprochen – eine unverzichtbare Aufgabe. Selbst bei einem scheinbar aufgelegten Match sollte nichts überstürzt werden. Ansonsten läuft man Gefahr, früher oder später ins Messer zu laufen.
Werden mutmasslich problematische Geschäftspraktiken eines Unternehmens ruchbar, ist aus Anlegerinnen- und Anlegersicht nach der Devise «Wo Rauch ist, ist auch Feuer» besondere Vorsicht walten zu lassen. Umso defensiver das fragliche Unternehmen auf mögliche Anschuldigungen reagiert, desto grösser ist die Gefahr, dass ein Flächenbrand entsteht.
Werden im Rahmen der eigenen Anlagetätigkeit die selbsterlassenen Anlagerichtlinien nicht einhalten, ist eine aktive, offene und sofortige Kommunikation an den Anlegerkreis eine Pflicht. Nur so kann verhindert werden, dass vorhandenes Vertrauenskapital nicht übermässig leidet oder vollständig wegbricht.
Das Führen der Buchhaltung und das Befolgen von Standards zur Rechnungslegung sind weder lästige noch verzichtbare Aufgaben. Vielmehr leisten beide einen Beitrag zur Transparenz der Entwicklung von Anlagen und Unternehmen. Zwar können und sollen solche Zahlen keinen Beitrag zur strategischen Führung oder zur Fällung von solchen Entscheidungen leisten, aber für ein faktenbasiertes Controlling sind sie unverzichtbar.
Risikomanagement ist Chefsache, aber dessen Ausübung darf nicht in Personalunion beim Chef oder der Chefin angesiedelt sein. Ein Regime mit Einzelunterschrift und ein Ignorieren des Vier-Augen-Prinzips sind Anzeichen dafür, dass das Risikomanagement im Anlageprozess noch viel Luft nach oben hat.
Das Scheitern, das Verlieren und das Verlustmachen gehört zu jeden Anlageprozess zwingend dazu. Sie sind systemimmanent die logische und natürliche Kehrseite von ökonomisch erfolgreichen Anlagen und Unternehmen. In der Regel dauert aber das «Aufräumen» von solchen Misserfolgen zeitlich deutlich länger als das Anrichten des jeweiligen Schadens. Das gilt insbesondere bei der Klärung von rechtlichen Fragen.
Quellen: benutzte Archive und Bibliotheken
Um diesen Beitrag zu verfassen, hat dr. dr. üsé kuba hausmann, folgende Bibliotheken und Archive persönlich besucht oder dort und deren Websites in den dazugehörigen Datenbanken recherchiert:
Archiv der NZZ | |
Bibliothek der Schweizerischen Nationalbank | |
Handelsregister / Schweizerisches Handelsamtsblatt | |
Schweizerisches Bundesarchiv | |
Staatsarchiv des Kantons Zürich | |
Schweizerische Nationalbibliothek | |
Stadtarchiv Stadt Zürich | |
Universitätsbibliothek Wirtschaftswissenschaften Basel | |
Zentralbibliothek Zürich |
Bildnachweis: Zentralbibliothek, Nachlass A. Egger «Gutachten» im Dossier «Ueber Fortdauer oder Aufhebung der Beistandschaft für die Immo-Hyp-Propria AG Zürich. Rechtsgutachen 1953 - 1954.