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Scheitern mit Immobilien: Die Geschichte der Immo-Hyp – ein Absturz mit Ansage (eine Reportage in drei Teilen, 2/3) – unbändiges Wachstum und grenzenloses Marketing

Mit Vollgas unterwegs: grossspurige Propagandawelle


Fortsetzung vom Beitrag 5. November 2024: Teil 2


Die Immo-Hyp Bank bot klassische Anlageprodukte an. Depositenhefte und Kassenobligationen nahmen dabei freilich eine kleine Nebenrolle ein. Die Musik sollte woanders spielen. Im Zentrum standen die Immobilien-Miteigentums-Anteile oder eben die Miteigentums-Zertifikate. Sie wurden heftig beworben. Dem Vernehmen nach sollen über wenige Jahre hinweg rund 400'000 Haushalte in der Deutschschweiz postalisch angeschrieben worden sein. Und die Ausgaben für diese «Propaganda» – es handelte sich um die damalige Bezeichnung für Werbung – in der Presse sollen von 1945 bis zum Untergang der Gesellschaften Ende 1950 rund 1.1 Millionen Franken betragen haben. Ein unglaublicher Betrag! Das Anpreisen der immobilienaffinen Produkte erfolgte so aggressiv wie sie nebulös blieben. Die Wirtschaftsredaktion der «NZZ» blieb kritisch am Geschehen dran. Im Sommer 1944 berichtete sie abermals über einen «sonderbaren» Emissionsprospekt, der an weite Kreise versandt worden war. Er wirke ungewöhnlich bis marktschreierisch. Die Zeitung zitierte daraus folgende Passage:

 

«Unsere Bank ist Herausgeberin 4½ % Ertrag abwerfender Immobilien-Zertifikate. Sie gewähren Miteigentum an besten, ausschliesslich schweizerischen Immobilien und bitten als Sachwert-Anlagen weitgehend Schutz vor Abwertungsverlusten. Die hervorragende Qualität unserer bisherigen Miteigentumsobjekte ermöglicht uns, die erste Serie unserer Immobilien-Miteigentumszertifikate in dem Sinne zu privilegieren, dass wir selbst als herausgebende Bank Minimalerträgnisse garantieren, die ½ % höher liegen als der jeweilige Zinssatz der Zürcher Kantonalbank auf ersten Hypotheken. Diese Garantie geben wir vorläufig auf die Dauer von vier Jahren. Unsere Miteigentumsaktion steht unter Treuhandaufsicht; die Zertifikate können zweifellos als eine der besten Kapitalanlagen gelten. Immo-Hyp, Immobilien- und Kredit-Bank, Rebgasse 5, Zürich.»

 

Zu diesem Zeitpunkt notierte der Zinssatz für erste Hypotheken auf dem Platz Zürich bei 3¾ %. Auch vor diesem Hintergrund sei die angepriesene und sogar garantierte Verzinsung nicht marktkonform, folgerte die NZZ. Unter der Firma «IMMO-HYP» konnten die Anleger zumindest auf dem Papier zwischen verschiedenen Produkten wählen: 1. Serie mit unbestimmter Laufzeit, wobei grössere Beträge auf drei Monate kündbar waren. Die Höhe der Anlage konnte frei gewählt werden. Der Ertrag sollte in jedem Fall reinvestiert werden. Ein Ertrag von 4% wurde in Aussicht gestellt. Die 2. Serie hatte eine feste Laufzeit von fünf Jahren. Die Mindestanlage betrug 500 Franken oder ein x-faches davon. Dieses Zertifikat besass einen Semestercoupon in der Höhe von 4½ % pro Jahr. In beiden Fällen sollten die Anleger immer Miteigentum an den erworbenen Liegenschaften erhalten. Man kaufte sich vermeintlich in Sachwerte ein.

 

Durch diese «Propaganda» der Immo-Hyp wurde im Sommer 1944 auch das Direktorium der Schweizerischen Nationalbank auf den Plan gerufen. Die Mitglieder des Gremiums kritisieren den erwähnten Prospekt und die mit ihm verbundene Werbung seitens der – Zitat – «unrühmlich bekannten Immo-Hyp». Edwin Gloor erhielt darauf ein Schreiben vom I. Departement der Nationalbank. Darin baten ihn die Währungshüter, zukünftig auf die bestandenen Passagen bezüglich angeblicher Abwertungsrisiken zu verzichten. Solche Aussagen seien unerwünscht und irreführend. Der Adressat antwortete postwendend: Keineswegs hätte die Absicht bestanden, das Vertrauen in die Landeswährung zu erschüttern und dadurch eine Flucht in Sachwerte anzuheizen. Vielmehr wollte man nur die Vorzüge der eigenen Zertifikate hervorheben. Diese Rückmeldung vermöchten den Absender des Schreibens zu befriedigen. Damit wollte die Schweizerische Nationalbank die Sache bewenden lassen. Gleichwohl sah die Schweizerische Nationalbank im Oktober 1994 veranlasst, die Bankenkommission über das Geschäftsgebaren der Immo-Hyp zu informieren. Insbesondere solle dort eine ausserordentliche Revision des Institutes veranlasst werden. Eine solche fand jedoch nie statt.

 

In den Folgejahren lag der formale Fokus der ausgegebenen Zertifikate in der Qualität und dem Umfang der Fremdfinanzierung. Neben Liegenschaften, die ohne Fremdkapital gehalten wurden, existierten auch Zertifikate, deren dazugehörigen Liegenschaften bis zur Höhe der ersten Hypothek amortisiert werden. Schliesslich wurden auch reine Hypotheken-Zertifikate angeboten. Das Ganze lief im Markt unter der Bezeichnung «Miteigentumsaktion». In einem Exposé vom September 1950 hielt Edwin Gloor schriftlich fest, dass sich das Immobilien-Zertifikat mit moderat fremdfinanzierten Liegenschaften beim Publikum am besten durchgesetzt hätte. Es sei im Übrigen das einzige, dass «heute» überhaupt noch angeboten würde. Letztlich war all dies eine hohle Fassade. Ob man das Produkt A, B oder C gewählt hatte, war einerlei. Das gesprochene Geld verschwand so oder so undifferenziert und undokumentiert im Rachen der Immo-Hyp-Gesellschaften.


Auf Einkaufstour von Unternehmen: Gemischtwarenladen


Edwin Gloor hatte bereits zu Zeiten der Genossenschaft Frohes Heim mehrere Eisen im Feuer. So suchte er im Frühling 1939 persönlich via Zeitungsinserat 100'000 Franken. Damit sollten zwei «exportfähige, absolut umwälzende neue Industrie» gegründet werden. Es ging um eine nicht näher umschriebene Massenfabrikation mit «nachweisbar ungeahnten Absatzmöglichkeiten im In- und Ausland». Zudem handele es sich um krisenfeste Produkte und Risiko sei ausgeschlossen. Dem Unterfangen war kein Erfolg beschieden. Die Geldsuche fruchtete nicht. Es war eine Eintagsfliege.

 

Mitte Juni 1946 gründete Edwin Gloor in Vaduz die Immobilien- und Hypotheken-Treuhandgesellschaft. Das ursprüngliche Gesellschaftskapital von 10'000 wurde 1948 auf 100'000 Franken erhöht. Das Motiv der Gründung, ihr Zweck wie auch ihre Rolle im Dickicht der verflochtenen Unternehmensaktivitäten blieben im Dunkeln. Edwin Gloor liess sich von diesem Unternehmen zuerst eine Handlungsvollmacht, später gar eine Generalvollmacht erteilen. In der Folge nahm Edwin Gloor Gelder entgegen, führte dabei aber nicht Buch. Im Rückblick liess sich rekonstruieren, dass Gelder in Millionenhöhe zu und über diese liechtensteinische Gesellschaft geflossen sind. In den Zeitungsinseraten der Immo-Hyp-Gesellschaft wurde zudem Vaduz neben den hiesigen Standorten ohne weitere Hinweise aufgeführt. Eine entsprechende Deklaration fehlte.

 

Ebenfalls 1946 liess sich Edwin Gloor in den Verwaltungsrat der Zürcher «Immo Aktiengesellschaft» wählen. Er war dort allein, denn J. H., der Unternehmensgründer, hatte seine Anteile verkauft. Der ursprüngliche Zweck der Gesellschaft war der Export, Import und Vertrieb von Waren aller Art sowie die Übernahme von Marktsondierungen und Fabrikvertretungen. Die effektive Geschäftstätigkeit blieb diffus. Sie reichte vom Versand von Zigaretten bis hin zur Durchführung von Spendenaktionen. Diese Aktivitäten bezogen sich auf Deutschland. Edwin Gloor wollte damit nach eigenen Angaben «ausgebombte Schweizer und hier zugelassene Flüchtlinge beschäftigten.» Ihm wurde denn auch eine karitative Ader nachgesagt.

 

Auch der Handel mit Immobilien, deren Verwaltung und die Überbauung von Liegenschaften war gemäss Statuten zulässig. Tatsächlich gelangten durch die Immo Aktiengesellschaft im Herbst 1949 nachweislich zwei Stadtzürcher Liegenschaften in das Portfolio der Immo-Hyp Propria: Mutschellenstrasse 111 und Rotwandstrasse 52. Edwin Gloor vertrat in diesen Transaktionen in Personalunion für die Verkäuferin als auch für die Käuferin auf. Auch beim Kauf der Villa Seerose in Horgen durch die Immo Hyp Propria hatte die Immo Aktien-gesellschaft die Hände im Spiel. Nach diesen drei Transaktionen trat er aus dem Verwaltungsrat aus. Sein Schwiegersohn K. K. übernahm den Posten. Und ab Mai 1952 firmierte die Gesellschaft unter Relag, Relais & Elektrizitäts AG.

 

Weitere zwei Jahre später setzte Edwin Gloor auf die Karte der «Baukontor Zürich GmbH». Zusammen mit J. R. gründete er diese Gesellschaft im März 1948. Das Stammkapital belief sich auf 40'000 Franken. Dahinter steckte zwei Sachwerteinlagen: Einerseits eine Fahrnisbaute, ferner Maschinen, Werkzeuge und Modelle der Küderli & Co. vorm. Baer & Co. Das Unternehmen hatte seinen Sitz an der Buckhauserstrasse 35 in Zürich-Altstetten. Andererseits brachte J. R. das Patent mit der Nummer 224 163 ein. Dabei ging es um das Recht, spannungsfreie Kamine herzustellen und diese in sieben Kantonen zu vertreiben. Das Geschäftsdomizil der Gesellschaft war – man ahnt es – an der Rebgasse 5 und dort bei der Immo-Hyp Bank. Die Gesellschaft fallierte. Im November 1950 wurde sie liquidiert und kurze Zeit später auch das erwähnte Patent gelöscht.

 

Im Dezember 1949 wurde Edwin Gloor alleiniger Verwaltungsrat der Socitété immobilière La Vaudaire K SA. Er wagte den Sprung in die Westschweiz. Die Lausanner Gesellschaft wurde bereits 1929 durch W. M. als Société immobilière Chalet Souvenir A SA ins Leben gerufen. Sie war auf dem Platz Lausanne in der Projektentwicklung tätig. Bei der Umfirmierung anfangs 1948 besass die Gesellschaft ein unbebautes Grundstück von 845 Quadratmetern in der Stadt Lausanne. Zudem beabsichtigte man den Kauf eines weiteren Grundstückes über 1'491 Quadratmetern zum Preis von 37'000 Franken. Es befand sich an der Rue de Fontenailles in Lausanne-Ouchy. Das Aktienkapital war mit 50'000 Franken knapp dotiert.

 

Diese Transaktion war typisch für das Geschäftsgebaren von Edwin Gloor. Weshalb? Sie erfolgte überhastet und ohne eine Prüfung. Die Verkäuferin, eine in Zürich domizilierte Aktiengesellschaft, kaufte am 30. November 1948 die Aktien der Socitété immobilière La Vaudaire K SA vom Zürcher Rechtsanwalt Dr. G. C. ab und veräusserte diese bereits 14 Tage später wieder. Die Käuferin war diesmal – Überraschung – die Immo-Hyp Propria. Sie legte für das Aktienpaket 742'000 Franken auf den Tisch. Der Aufschlag auf den Kaufpreis vom November betrug dabei rund 5 Prozent.

 

Etwa zur gleichen Zeit beteiligte sich die Immo-Hyp Propria an einer weiterer Lausanner Immobiliengesellschaft. Die neu gegründete Esplanade de Bourg SA hatte in der Lausanner Innenstadt ein Immobilienensemble zum Preis von knapp einer Million Franken erworben. Das Aktienkapital betrug 500'000 Franken und war mit Barmitteln einbezahlt worden. Der Einstieg in diese Gesellschaft dürfte besonders risikobehaftet gewesen sein. Denn die Finanzierung dieses Engagement sollte sich bald als toxisch für das gesamte Konstrukt Immo-Hyp erweisen.


Kein Luftschloss, aber auch kein wetterfestes Portfolio


Unter dem Dach der Immo-Hyp Propria wuchs der Bestand an eigenen Liegenschaften an. Im Dezember 1950 zählte das Portfolio 34 Liegenschaften. Die grosse Mehrheit davon befand sich in der Stadt Zürich. Eigene Projektentwicklungen wurden nach Bauabschluss entweder an Dritte veräussert oder ins eigene Portfolio integriert. Die Entwicklungsaktivitäten der Gesellschaft nahmen vor allem nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Fahrt auf. Im Zentrum standen dabei Wohnsiedlungen mit Mietwohnungen.

 

Dazu folgende Beispiele, die zudem einen Einblick in damalige bau- und mietrechtliche Regulierungen erlauben: In der Zürcher Gemeinde Adliswil plante und realisierte die Immo-Hyp Propria im Gebiet der Soodstrasse zwei Mehrfamilienhäuser. Sie beinhalteten 24 Dreizimmer- und 3 Vierzimmerwohnungen. Die Mietzinse exklusive Nebenkosten für Heizung und Warmwasser lagen bei 1’390.- bzw. bei 1’545.- Franken pro Jahr. Um die kriegsbedingte Wohnungsnot zu lindern, subventionierte der Bund seit 1942, gestützt auf mehrere Erlasse, den Neubau von Wohnungen. Beim konkreten Projekt übernahm die öffentliche Hand 10 Prozent der gesamten Baukosten von insgesamt knapp einer Million Franken. Die Neubauten erzielten nach Fertigstellung im Herbst 1947 eine Bruttorendite von 4.9 Prozent; berechnet auf den gesamten Anlagekosten und exklusive der ausgerichteten Subventionen.

 

Auch für ein weiteres Bauprojekt mit 30 Mietwohnungen verteilt auf vier Mehrfamilienhäuser in derselben Gemeinde wurden – ebenfalls im Jahre 1947 – entsprechende Subventionen in derselben Grössenordnung gesprochen. Die gesamten Anlagekosten lagen in diesem Fall leicht höher. Daraus resultierten jährliche Mietzinse, die sich zwischen 1'500 und 1'880 Franken pro Wohnung bewegten. Da sich die Fertigstellung einiger dieser Bauten verzögerte, beschloss der Zürcher Regierung im Herbst 1947 einen Aufschub der Umzugstermine von längstens sechs Monaten. Die gesetzliche Grundlage dazu bildete ein Bundesratsbeschluss vom Januar 1944. Er sollte in angespannten Situationen für Wohnungswechsel in geordneten Bahnen sorgen. Denn das gesetzlich durchgetaktete Räderwerk von Wechsel und Bezug von Mietwohnungen drohte durch verzögerte Fertigstellungen von Neubauten punktuell aus dem Ruder zu laufen.

 

Eine weitere Projektentwicklung im Wohnungsbau nahm die Immo-Hyp Propria Ende der 1940er-Jahre im Stadtberner Quartier Enge-Felsenau in Angriff. In einem südlich des Spitals Tiefenau gelegenen Gebietes am Oberen Aareggweg 54 bis 70 plante und realisierte die Gesellschaft drei dreigeschossige Mehrfamilienhäuser. Im «Bund» wurde das «Aareggdörfli» im Januar 1951 als gutes Beispiel für eine moderne Siedlung gelobt. Demnach besassen die insgesamt 63 Wohnungen «sonnige Zimmer – das Wohnzimmer mit Würfelparkett, die übrigen Zimmer mit Linoleum –, neuzeitlich eingerichtete Küchen (mit elektrischem Herd, Kühlschrank, Chromstahlspültrog mit Unterbau usw.) und Badezimmer mit eingebauten Badewannen, 125-Liter-Boiler sowie Anschluss an die Oel-Zentralheizung, Wandschränke, Balkone bieten Gewähr für behagliches Wohnen.» Zu jeder Wohnung gehörte ein «Estrich» sowie ein Kellerabteil. Das seit 1936 schweizweit geltende Regime der Mietzinskontrolle sah vor, dass generell alles Mietzinserhöhungen durch die ständigen Behörden zu genehmigen waren. Diesem Prozedere mussten sich auch alle neu gebauten Mietwohnungen unterziehen. Eine freie Mietzinsfestlegung ohne Bewilligungsprozess war kategorisch ausgeschlossen. Als Massstab galt ein striktes Regime nach dem Prinzip der Kostenmiete.


Experimente in unbekanntem Terrain: Glatteisgefahr


Ab Herbst 1948 bekam die Akquisitionstätigkeit der Immo-Hyp Propria eine zusätzliche, alternative Ausrichtung. Neben dem Erwerb von Mehrfamilienhäusern oder dem Engagement in entsprechenden Projektentwicklungen erschloss sich die Gesellschaft neue Segmente. Stichhaltige Beweggründe für diesen Schritt lassen sich aus den Akten nicht nehmen. Fakt war aber, dass nicht alle geplanten Projektentwicklungen im angestammten Wohnsektor realisiert werden konnten. So blieb zu dieser Zeit eine Projektentwicklung für eine Wohnsiedlung im Zollikerberg in der Planungsphase nachweislich stecken.

 

In der ordentlichen Generalversammlung der Immo-Hyp Propria vom 6. November 1948 waren drei bemerkenswerte Investitionsanträge traktandiert. Es ging um Finanzbeteiligungen an zwei Hotels sowie einer solchen an einer Bergbahn: Bei der «Grand Hotel au Lac SA» erwarb die Immo-Hyp Propria ein Aktienpaket in der Höhe von 2.5 Millionen Franken. Seit 1907 wurde in Brissago das Grand Hôtel au Lac betrieben. Der Standort direkt am Ufer des Lago Maggiore war exquisit. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war es denn auch ein beliebter Treffpunkt vieler Berühmtheiten. Der Krieg brachte eine Zäsur. Während dieser Zeit diente der Gebäudekomplex als Flüchtlingsunterkunft. Im Februar 1949 konnte die Hoteldirektion stolz die Wiedereröffnung verkünden. «Verschönt und aufs beste instand gestellt, empfängt es die Gäste (…).», konnte den eigenen Werbeschriften entnommen werden.

 

Damit aber nicht genug; vom Lago Maggiore ging es direkt an den Genfersee. Mit weiteren 1.5 Millionen Franken erwarb die Immo-Hyp Propria die Aktienmehrheit am «Grand Hôtel Suisse et Majestic» in Montreux. Hierbei handelte es sich ebenfalls ein etabliertes Haus. Dessen Geschichte reicht bis ins Jahr 1870 zurück. Seitenblick: Das Hotel am Genfersee ging im Dezember 1971 in die Annalen der Musikgeschichte ein. Die Rockband Deep Purple richtete damals im Hotelsalon ein improvisiertes Studio zur Aufnahme ihres Songs «Smoke on the water» ein. Ein Welthit war geboren.

 

Zurück zur eingangs erwähnter Generalversammlung: Mit diesen beiden Käufen war der Anlagedurst der Immo-Hyp noch nicht gestillt. Man ging aufs Ganze. So flossen weitere 400'000 Franken in den Erwerb von 99.5 Prozent des Aktienkapitals der Sonnenbergbahn AG. In der Luzerner Gemeinde Kriens erschloss diese Standseilbahn seit 1902 das auf dem gleichnamigen Hügel befindliche «Grand Hotel Sonnenberg». Die Fahrstrecke der Bahn mass lediglich gut 800 Meter. Zum Zeitpunkt des Aktienkaufes war der Betrieb des Hotels bereits seit sieben Jahren eingestellt gewesen. Die Perspektive des ehemaligen Kurhauses sah in diesen Tagen alles andere als rosig aus.

 

Rund ein Jahr erwarb später im Immo-Hyp Propria vor den Toren der Stadt Zürich die Villa Seerose in Horgen. Die Verkäuferin war die Immo Aktiengesellschaft. Letztere gehörte zum Dunstkreis von Gloor. Nachfolgende Verkaufsbemühungen für diese Liegenschaft verliefen im Sand. Daher erwog man deren Neupositionierung. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.


Kartenhaus beginnt zu bröckeln


Die omnipräsenten Werbekampagnen unter der Firma Immo-Hyp erregten Aufsehen, auch bei der Bezirksanwaltschaft Zürich. Im Laufe des Jahres 1949 ermittelte sie gegen die Immo-Hyp-Gesellschaften. Es standen die Vorwürfe der Täuschung und des unlauteren Wettbewerbs im Raum. Von unbekannter Seite war eine Strafanzeige eingereicht worden. Sie bezog sich auf die Werbeaktivitäten. Aktenkundig ist aus heutiger Sicht in diesem Zusammenhang, dass das Direktorium der Schweizerischen Nationalbank im November 1959 eine mögliche Anklage gegen die Immo-Hyp durch das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement prüfen liess. Das Gremium war abermals auf eines der zahl-reichen Zeitungsinserate aufmerksam gemacht worden. Die Mitglieder des Gremiums störten sich an einer darin gemachten Aussage. Sie lautete wie folgt: «Die Anlage in Immobilien-Zertifikaten ist eine Sachanlage. Im Falle währungspolitischer Massnahmen, die eine Höherwertung von Liegenschaften als Sachwerte zur Folge hätten, würden wir den effektiv eintretenden Mehrwert durch Ausgabe eines Kapital-Genuss-Scheines zum Zertifikat hinzu dem Zeichner zuwenden.» Sie vermuteten darin einen Verstoss gegen einen Bundesratsbeschluss vom 19. Juni 1936. Darin ging es um den Schutz der Landeswährung. Die Antwort der Bundesanwaltschaft lag zwei Monate später, Mitte Januar 1950, vor. Diese Behörde riet der Schweizerischen Nationalbank von einer Einleitung eines Strafverfahrens abzusehen. Sowohl das interne «Rechtsbureau» als auch das Direktorium der Schweizerischen Nationalbank folgten diesem Ratschlag.

 

Das Verfahren wurde trotzdem und ohne Zutun der Schweizerischen Nationalbank eröffnet, aber nach kurzer Zeit auf Eis gelegt. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich forderte in Folge eine nochmalige Prüfung. Zusätzlich sollten allfällige Verstösse gegen das Bankengesetz sowie der Strafbestand wegen Betrug untersucht werden. Aber an den Vorwürfen blieb nichts hängen. Es konnte nichts nachgewiesen werden. Das Verfahren wurde endgültig eingestellt.

 

Pikant war an dieser Episode die Position von Otto Gloor (1890-1960). Edwins Bruder war ab Mitte 1919 als ausserordentlicher und ab 1928 als ordentlicher Bezirksanwalt in der Stadt Zürich tätig. Zur Zeit der fraglichen Untersuchung wirkte er als stellvertretender Geschäftsleiter der städtischen Bezirksanwaltschaft. Anzeichen dafür, dass er in sie involviert war, gab es keine. Aus den Protokollen des Zürcher Regierungsrates lässt sich entnehmen, dass der ursprüngliche Notar als Experte für Buchhaltungsfragen galt. Ende Juli 1956 zwangen ihn gesundheitliche Probleme zum Rücktritt. Im August 1960 verstarb er an den Folgen eines Hirnschlags. In seinem Nachruf in der NZZ wurde seine Rolle als militärischer und eidgenössischer Untersuchungsrichter besonders hervorgestrichen. Als Oberst in der Schweizer Armee hatte sich Otto Gloor in zahlreichen Landesverrats- und Spionageprozessen in unterschiedlichen Funktionen und Rollen einen Namen gemacht. Immerhin mutmassten die Mitglieder Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank in einer Sitzung im Januar 1950, dass sich der Verwaltungsrat und «leitende Mann» bei der Immo-Hyp durch seinen Bruder, Bezirksanwalt Gloor in Zürich, in Rechtsfragen beraten lasse.

 

Bereits im Frühling 1949 zirkulierte innerhalb der Berner Kantonalverwaltung eine interessante Anfrage. Sie betraf das Geschäftsgebaren der Immo-Hyp. Dem damaligen Finanzdirektor Walter Siegenthaler (1904-1994) wurde ein einschlägiges Werbeschreiben zugespielt. In einem Brief an die Polizeidirektion stützte er sich auf eine vorgängig eingeholte Einschätzung der Berner Kantonalbank. Sie liess an Deutlichkeit nichts übrig: «Es handelt sich um ein bekanntes Werbeschreiben, das von Zeit zu Zeit in die Briefkästen gelegt wird. (…) Die erhaltenen Auskünfte betonen, dass die Verhältnisse bei dieser “Bank“ undurchsichtig sind. Man vermutet, dass die angepriesenen Zertifikate rechtlich kein Miteigentum verkörpern. In der Finanzpresse ist das Unternehmen wegen seiner Briefkastenreklame bereits wiederholt kritisiert worden. Bei Anfragen raten wir Anlagen in Zertifikaten der IMMO-HYP dringend ab.»

 

Eine öffentliche Kritik folgte in der NZZ vom 14. und 15. August 1949. Unter dem Titel «Immo-Hyp – eine gute Kapitalanlage? I. und II.» wurde in zwei extensiven Beiträgen einerseits die Geschichte und Entwicklung der Immo-Hyp nachgezeichnet. Andererseits wurden drei betriebswirtschaftliche und rechtliche Themenkreise vertieft beleuchtet: Erstens die Organisation mit Zuständigkeiten sowie die Bilanzen und die bis anhin getätigten Ausschüttungen an die Anleger, zweitens der rechtlich schwer fassbare Status der Miteigentumszertifikate und drittens die Anlagetätigkeit in Verbindung mit den aufgelegten Prospekten. Dabei wurden neben anderen Geschäften ausdrücklich die Beteiligungen an den Hotels in Brissago und Montreux, der Kauf von Aktien und Obligationen von der Luzerner Sonnenbergbahn sowie eine nicht näher umschriebene Villa am Zürichsee als gravierende Regelverstösse erwähnt. Sie alle widersprachen den eigenen Anlagerichtlinien. Damit aber nicht genug. Im zweiten Beitrag wurden die Jahresrechnungen der Immo-Hyp Propria mit Sachverstand unter die Lupe genommen, die Kontrolle der Geschäftsführung als problematisch taxiert und die «Propagandamethoden» nach Strich und Faden auseinandergenommen. Der Beitrag endete mit über einem Dutzend Fragen an die Leitung der Immo-Hyp: «Wir haben uns bemüht, unter Vermeidung persönlicher und polemischer Ausführungen auf Mängel in der Organisation (…) hinzuweisen. (…) Erst eine hinreichende Beantwortung dieser Fragen dürfte das geeignete Kapitalanlagen suchende Publikum veranlassen, auf die propagandistischen Bemühungen der Immo-Hyp näher einzutreten. Hinter dem «wir» steckte Dr. Hans Vontobel (1916–2016). Er war der Verfasser der Beiträge. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung arbeitete er schon in der Züricher Privatbank J. Vontobel & Co; dort hatte er vorerst weder eine Organstellung inne noch war er Teilhaber.

 

Edwin Gloor war herausgefordert. Er musste Stellung beziehen. Am 12. September 1950 verfasste er ein «Exposé». Es umfasste elf A4-Seiten und trug den Briefkopf der IMMO-HYP Immobilien- und Kredit-Bank. Darin ging er Punkt für Punkt auf die «gegen unsere Firma gerichteten Angriffe» ein. Das Schreiben war im Ton sachlich gehalten und sollte vertrauensbildend wirken. Insbesondere galt es, allfällige Zweifel auszuräumen: «Die ganze Angelegenheit, die tatsächlich sehr mysteriös aussieht, wenn man nur die gegnerischen Argumente liest, lässt sich sehr einfach erklären.» Als Präsident des Verwaltungsrates der IMMO-HYP Immobilien- und Kreditbank und der Immo-Hyp Propria AG schloss er seine Ausführungen mit: (…) wir sind überzeugt, dass unsere Miteigentums-Aktion weiterhin ihren Weg machen wird unter der Devise “Dienst am Kunden“».

 

Bereits am 7. September 1950 erschien in der Morgenausgabe der NZZ seine eigene Entgegnung zu den von Hans Vontobel gestellten Fragen. Im Zuge der Ausführungen erfuhr die Leserschaft das Halten von Beteiligungen an den zwei Hotels, die aber «keine Berghotels» seien. Dies hatte zuvor auch niemand behauptet. Diese Positionen seien indessen vorübergehender Natur mit guten Verkaufsmöglichkeiten. Die ebenfalls monierte Beteiligung an der Sonnenbergbahn blieb hingegen unerwähnt. Hierbei handelte es sich im Rückblick gesehen gleichwohl um Nebenschauplätze. Trotzdem standen sie im Widerspruch zur kommunizierten Position der Immo-Hyp Propria. Sie betonte stets, dass die Deckung der Miteigentumszertifikate ausschliesslich mit Renditenhäusern erfolge. Gemeint waren Mehrfamilienhäuser und Geschäftsliegenschaften. Im Zentrum seiner Ausführungen stand jedoch der rechtliche Charakter der Zertifikate und deren Qualität als Sachwerte. Im Verweis auf das eigene Verwaltungsreglement zitierte Edwin Gloor daraus folgende Passage: «Die Immobilien und die anderen Werte gehören, mit dem gesamten Aktienkapital der Immo-Hyp Propria AG, den Besitzern der Immobilien-Miteigentumszertifikate.» Gleichzeitig betonte er, dass die Liegenschaften und Sachwerte für «die Propria» erworben würden. Mit den Zertifikaten würden die Zertifikatsinhaber «obligatorisch Eigentumsrechte» an den Liegenschaften erwerben. Exakt das beschriebene Konstrukt wurde jedoch nicht nur von Hans Vontobel mit Bestimmtheit in Abrede gestellt. Des Weiteren ging Edwin Gloor auf rund ein Dutzend weitere Themen ein. Am Schluss des Artikels fand sich ein Hinweis auf das erwähnte Exposé, das auf Wunsch den Besitzern von Zertifikaten zur Verfügung gestellt würde.

 

Hans Vontobel liess nicht locker. Bereits 24 Stunden später erschien im selben Blatt eine umfassende Einschätzung. Er zerzauste die vorgebrachte Stellungnahme der Immo-Hyp nach Strich und Faden. Mehr noch. Neue mutmassliche Unstimmigkeiten wurden ins Feld geführt. Gleichwohl überliess er es dem Leser, die ihm geeigneten Schlüsse zu ziehen. Unabhängig davon blieb der Zürcher Bankier der Materie treu. So erschienen seine drei in der «NZZ» erschienen Beiträge in einem Büchlein als Separatabdruck. Er war sich seiner Sache sicher: Das Konstrukt der Immo-Hyp könne weder ökonomisch funktionieren noch besässe es ein solides rechtliches Fundament.


Fortsetzung folgt.


Bildquelle: NZZ vom 6. Dezember 1942, S. 23.



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