Seuchen wie Pest, Typhus oder Cholera begleiten die Menschheit nachweisbar seit über 2000 Jahren. So suchte im 19. Jahrhundert etwa die Cholera in drei grossen Epidemien Westeuropa heim. Cholera ist eine Infektionskrankheit, die innerhalb von Stunden bis Tagen zum Tod führen kann. Ihre Ausbreitung erfolgt über verunreinigtes Trinkwasser. Von der zweiten und dritten Welle dieser Epidemie waren auch die Kantone in der Schweiz betroffen. Die Behörden bemühten sich damals, die Plage mit geeigneten Massnahmen in den Griff zu kommen.
Und wie Zeiten von Corona berichteten die Zeitungen detailliert über das Geschehen. So auch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ): «Die Direktion der Medizinalangelegenheiten hat an das eidgenössische Departement des Innern und die sanitätsbehörden sämmtlicher Kantone folgendes Kreisschreiben erlassen: “Wie sie theils durch uns direkt, theils unzweifelhaft durch die Presse vernommen haben, sind in Zürich und Umgebung in letzter Zeit eine Anzahl Cholerafälle vorgekommen. Der erste Fall betraf ein 18 Monate altes Kind, das, bereits krank, Ende Juli von Rom hieher gekommen, ... und am 30. Juli starb. Auf diesen ersten Fall können alle folgenden, im Ganzen 13 Erkrankungen, wovon 8 mit tödlichem Ausgang, zurückgeführt werden...» (vgl. NZZ vom 14. August 1867, S. 2).
Bei dieser aus statistischer Sicht bereits akribisch vorgenommenen Berichterstattung sticht ein Dokument besonders ins Auge. Es ist ein Stadtplan von Zürich. Auf dieser Karte verorteten die Behörden jeden einzelnen Fall von Cholera und zwar adressengenau! Aus ihr geht insbesondere hervor, dass sich ein Seuchenherd am Limmatquai in unmittelbarer Nähe des heutigen «Centrals» befand. Neben der räumlichen Verortung gibt die Legende der fraglichen Karte zudem Auskunft über die absolute Anzahl der Fälle vor Ort. Folgerichtig sprach man damals von Cholerahäusern oder Choleradistrikten.
Was ist die Moral von der Geschichte? Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts setzten die Behörden in der Seuchenbekämpfung auf «Geografische Informationssysteme». Zwar funktionierten sie noch analog. Aber gleichwohl dürfte die Verknüpfung von einschlägigen Cholera-Fällen mit kartografischem Material wertvolle Einsichten hervorgebracht haben. Insbesondere liessen sich damit (allfällige) räumliche Muster der Seuche vergleichsweise leicht erkennen. Aktuell ist die Methode des «Contact Tracing» in aller Munde. Neben dem Befolgen von präventiven Verhaltensmassnahmen soll sie helfen, effektiv und effizient dem Coronavirus Herr zu werden.
Es darf erwartet werden, dass die involvierten Behörden und Stellen die seit etlichen Jahren zur Verfügung stehenden Geografischen Informationssysteme in dieser akuten Krisensituation bereits intensiv nutzen, um die räumliche und personenbezogene Verbreitung und Präsenz des Coronavirus noch besser zu verstehen, bzw. um adäquate – sprich auch verhältnismässige – Massnahmen anzuordnen.
Auf die systematische Veröffentlichung von schweizweiten Daten, die eine kleinräumige Datenkörnigkeit aufweisen, darf man auf jeden Fall gespannt sein. Dass in der amtlichen Berichterstattung bis anhin häufig mit einer Raumgliederung nach Kantonen gearbeitet wird, hilft der breiten Öffentlichkeit nicht wirklich, um die räumliche «Betroffenheit» (sogenannte Hot Spots) transparent und aussagekräftig darzustellen. Wie aus konzeptioneller Sicht eine zeitgemässe Berichterstattung aussehen könnte, findet sich trotzdem auf der Website des Bundesamtes für Gesundheit BAG. Dort zeigt eine Schweizer Karte die laborbestätigten COVID-19-Fälle für die Wochen 9 bis 26.
https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/ausbrueche-epidemien-pandemien/aktuelle-ausbrueche-epidemien/novel-cov/situation-schweiz-und-international.html#-138766968
Dem allenfalls vorgebrachten Gegenargument, dass der Schutz von persönlichen Daten gewährleistet sein muss, sollte aus datentechnischer wie auch aus darstellerischer Sicht im Kern nichts im Wege stehen. Mit dem Bundesamt für Landestopografie hat der Bund auf jeden Fall ein Kompetenzzentrum in den eigenen Reihen, das in der Lage ist, räumliche Visualisierungen von Daten auf höchstem Niveau zu produzieren und bereitzustellen.
Quellennachweis:
https://amsquery.stadt-zuerich.ch/detail.aspx?ID=9804
https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/022717/2005-02-23/
https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/ausbrueche-epidemien-pandemien/aktuelle-ausbrueche-epidemien/novel-cov/situation-schweiz-und-international.html#-138766968
Weitere Hinweise:
https://www.nzz.ch/schweiz/corona-die-app-laesst-uns-den-datenschutz-neu-denken-ld.1564163
https://www.nzz.ch/zuerich/aktuell/epidemie-in-zuerich-mit-499-toten-die-cholera-ist-der-schlimmste-feind-des-volkes-ld.1308322
https://www.youtube.com/watch?v=l19TsN2BraQ
https://www.srf.ch/news/schweiz/coronavirus-so-entwickeln-sich-die-fallzahlen-in-der-schweiz
https://www.swisstopo.admin.ch/
Bildnachweis:
https://www.e-rara.ch/zuz/content/zoom/9006155
Plan der Stadt Zürich nach Breitinger. Zürich: J.J. Hofer, [1867?]. Zentralbibliothek Zürich, 5 Lb 36: 8, https://doi.org/10.3931/e-rara-28406 / Public Domain Mark