«Kakerlaken, Dreck und Wucherzinsen» titelte die NZZ vom 21. Oktober 2015 (Seite 21). Dargestellt wurden die desolaten baulichen wie hygienischen Zustände in ausgewählten Mietwohnungen in der Stadt Zürich. So drastisch der Beitrag auch erscheinen mag, so alt ist das damit verbundene Phänomen in der Schweiz. Das zeigt ein Blick ins Geschichtsbuch. Ab den 1950er-Jahren prägte eine wirtschaftliche Boomphase das hiesige Leben. Der Begriff «Überkonjunktur» machte die Runde. Und Wohnraum war damals wie heute – trotz intensiver Neubautätigkeit – knapp. Vor dem skizzierten Hintergrund wurde die Situation von wirtschaftlich schwachen Wohnungssuchenden nicht selten von Vermietern schamlos ausgenützt. Man sprach von sogenannten «Italienerfallen», das heisst, es wurde schäbiger Wohnraum in allen Spielarten massiv überteuert vermietet (Vgl. «Blick», 2. Jahrgang, Nr. 266, 12. November 1960). Entsprechende Déjà-Erlebnisse gehören im Wohnungsmarkt – leider – fast zur Tagesordnung.
Ich habe mich während der letzten drei Jahre intensiv mit der Schweizer Mietrecht beschäftigt. Im Zentrum standen dabei die Genese und die Entwicklung der mehrheitlich heute noch geltenden obligationsrechtlichen Vertragsschranken, welche dezidiert die Gestaltungsmöglichkeiten von Mietzinsen regeln. Stichwort sind «missbräuchliche Mietzinsen», «Orts- und Quartierüblichkeit», «Formularpflicht» oder die Bindung von Mietzinsen für Wohnungen an einen hypothekarischen Referenzzinssatz. Dazu gehörte weiter ein detailliertes Nachzeichnen, wie sich das Paradigma der Kostenmiete seit dem Ersten Weltkrieg sukzessive als allgemeingültiges Grundprinzip im Mietrecht etabliert hat. Was waren die auslösenden Momente, die Motive und die Hintergründe, um diese und weitere Konzepte zu entwickeln und sie in mietrechtlichen Erlassen zu verankern?
Die Ergebnisse dieses Forschungsprojektes werden Ende Februar 2016 im DIKE Verlag veröffentlicht. Der Buchtitel lautet: «Die Vertragsfreiheit im Schweizer Mietrecht unter besonderer Berücksichtigung des Mietzinses von Wohn- und Geschäftsräumen: eine rechtshistorische Analyse für die Periode von 1804 bis 2014». Neben dem Rückblick beinhaltet die Untersuchung konkrete Vorschläge für eine Revision des heute geltenden Mietrechts. Denn die Lage, wie sie sich im Winter 2016 präsentiert, ist aus Sicht der Mieter von Wohnräumen wohl eine tickende Zeitbombe. Man muss kein Hellseher sein, um vorauszusagen, dass der Gesetzgeber im Falle von steigenden Zinsen – einmal mehr – unter Zeitdruck und mit wenig durchdachten Ad-hoc-Eingriffen ein rechtliches Flickwerk produzieren dürfte.
Getreu dem Motto «gouverner, c'est prévoir» wären das Bundesparlament wie der Bundesrat denn auch gut beraten, einen der grössten Zahlungsströme in der Schweiz (über 33 Milliarden Franken pro Jahr) bald im Sinne eines griffigen und zeitgenössischen Mieterschutzes zukunftsweisend im Obligationenrecht zu regulieren. Denn strategisches Denken und Handeln dürfte wohl auch in der Politik nicht schaden.